Cradle 2 Cradle – Wie eine Revolution unsere Welt verändern könnte

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Jan Kristof Arndt 26 März 2019

Von der Wiege bis zur Bahre. So heißt es doch so schön, oder?! Alles unterliegt irgendwie diesem Prinzip: Autos, Bücher, CDs, na ja, und Menschen sowieso. Alles hat einen Anfang und ein Ende. [Wer mir jetzt mit der Wurst kommt, darf nicht weiterlesen.] Und an diesem Ende steht in der Regel: Müll. Definitorisch betrachtet. Egal ob Kassettenrecorder, Gummistiefel oder Winterreifen – wenn die Dinge nicht mehr ihren Zweck erfüllen, wenn sie kaputt oder leer sind, werden sie entsorgt. Oder auf die Bahre gelegt und zu Grabe getragen, um im Sprachbild zu bleiben. Dort angekommen hinterlassen sie dann das, was gerne als ökologischer Fußabdruck auf dem Teppich des Weltklimas beschrieben wird. Und wie das mit Fußabdrücken nun mal so ist: Schön sind sie nicht. Und einer muss sie wegmachen. Das Problem aber besteht darin, dass man diese Abdrücke nie so richtig wegbekommt. Wenn man Ausdauer beweist und ganz lange wischt und rubbelt, werden sie ein bisschen kleiner, aber im Endeffekt heißt das nur, dass ein paar mehr von diesen kleinen Schmutzflecken auf den Teppich gemacht werden können – bis der dann irgendwann vollends versaut ist.

So kann jeder Gegenstand, aber natürlich in Konsequenz auch der Mensch, als Schädling bezeichnet werden. Durch den Ge- und Verbrauch von Sachen belasten wir unsere Umwelt. Das trifft auf jeden und alles zu. Auch der grünste der Grünen kann sich nicht davon freisprechen, der Umwelt zu schaden, wenn auch vielleicht nicht in dem Maße wie diejenigen, die sich kein bisschen für unsere Erde interessieren. Jeder macht sich –entschuldigen Sie die Dramatik– schuldig und wir versuchen diese Schuld zu managen, indem wir umfassende Programme zur Energiewende und andere Maßnahmen beschließen, die auf mehr Effizienz im Umgang mit Ressourcen und weniger Schadstoffe abzielen. Das ist gut gemeint, bewirkt aber eigentlich nur eine Entschleunigung der steten Abwärtsentwicklung, an deren Ende … na ja, was da steht, können wir uns wahrscheinlich alle ausmalen. „Weniger falsch“ ist eben nicht gleich „richtig“ – Man muss kein Philosoph sein, um das zu verstehen.

Ich hatte zuletzt das Vergnügen im Rahmen der Veranstaltung „BMW Dialog: Zukunftsdesign im Fokus“ Herrn Prof. Michael Braungart kennen zu lernen, der sich um die Gesetzmäßigkeiten aus Nutzung, Verbrauch und Schaden nicht sonderlich zu scheren scheint und eine Vision formuliert hat, nach der nichts jemals im klassischen Sinne zu Müll wird, sondern am Ende des Lebenszyklus weiter einen konkreten Sinn stiftet. Diesen Ansatz nennt er „From Cradle 2 Cradle – Von der Wiege bis zur Wiege [in Folgendem auch C2C genannt]“ – ein Ansatz, der keinen Abfall, keinen Verzicht und keine Einschränkungen kennt. Im Rahmen der Veranstaltung zeigte uns Prof. Braungart eine Welt auf, in der man nach Herzenslust verschwenderisch sein, also einkaufen, konsumieren und leben darf – ja sogar soll. Effizienzdenken? Fehlanzeige. Denn alle Produkte sind Teil einer Kreislaufwirtschaft, in der das Ende des einen Zyklus den Anfang eines nächsten, nachgelagerten beschreibt. Es liegt nicht in der menschlichen Natur, sonderlich effizient zu sein, so Braungart. Vielmehr handelt es sich um ein selbst auferlegtes Diktat, dem sich dieser Tage alle irgendwie verpflichtet zu fühlen scheinen. Aber stellen Sie sich mal vor, wie denn wohl effizientes Wohnen aussähe. Oder Essen. Wahrscheinlich würden wir in vielleicht 15 m2 großen Kisten hausen und alle paar Stunden einen Fresubin-Drink zu uns nehmen, der eigentlich für Astronauten entwickelt wurde und im Wesentlichen abzudecken vermag, was der Mensch an Nährstoffen so braucht. Wie ist es mit Küssen – also möglichst effizient? Geht das überhaupt? Und wenn ja, bringt uns das eigentlich auch noch Spaß oder geht es nur noch darum, das Immunsystem zu stärken? Genau! Effizienz ist nicht alles – und das ist auch gut so.

In einem mit Peter Poprawa (NT-V) geführten Interview beklagte Braungart zuletzt den weit verbreiteten Irrsinn anzunehmen, Umweltschutz bestehe in einer möglichst effizienten Beseitigung von Müll und damit verbunden der Zerstörung von Rohstoffen. Ein besonderer Dorn im Auge sind ihm die (deutschen) Müllverbrennungsanlagen. Durch diese würden viele Rohstoffe unwiederbringlich zerstört, so Braungart. Und es wird immer mehr Müll verbrannt. Das geht sogar so weit, dass Deutschland jedes Jahr mehr als 20 Mio. Tonnen Abfall importiert – natürlich gegen Gebühren. Und die sind hoch.

Überhaupt ist Re-Cycling so eine Sache, denn tatsächlich lassen sich unterschiedliche Materialien in der Regel nicht nach demselben Verfahren re-cyceln, so dass ein solcher Prozess ausschließlich zu einer schrittweisen Herunterstufung der einem Material innenwohnenden Technologie (oder Intelligenz) führt. In seinem Buch „Die nächste industrielle Revolution“ spricht Braungart von Down-Cycling-Mechanismen, das heißt, dass re-cycelte Materialien allenfalls dazu verwendet werden können, „geringerwertige Gegenstände herzustellen als die ursprünglichen“. Am Ende steht Nutzlosigkeit. Und sonst nichts.

Stattdessen fordert er Systeme, bei denen Produkte in zyklische Nährstoffkreisläufe eingebettet sind, so dass entstandene Werte erhalten bleiben oder sogar noch gesteigert werden können (Up-Cycling). Damit würde man aus der Einbahnstraße von der Wiege am Anfang und der Bahre am Ende einen Kreisverkehr machen (von der Wiege bis zur Wiege), der tatsächlich nachhaltig auf unser Leben wirken und die Gesetze der klassischen Erzeugung und Verwertung auf den Kopf stellen würde. Das aber setzt voraus, dass man bereits in der Konzeptionsphase von Produkten die zu verwendenden Grundstoffe auf Ihre C2C-Kompitabilität hin prüft – Und natürlich nur solche mit positiver Bewertung auch verwendet! Die zu beachtenden Grundprinzipien lauten:

• Abfall ist Nahrung | Erneuerbare Energien sollen genutzt | und Diversität unterstützt werden.

Wer nun an Traumwelten denkt, an Luftschlösser, in denen Blütenfeen wohnen, der irrt. Schon heute gibt es mehr als 1.000 Produkte, die nach den Grundsätzen der Braungart‘schen Philosophie hergestellt wurden. Ob Trigema, SEOX oder der Unterwäschehersteller Triumph – alle haben bereits Produkte nach dem C2C-Prinzip gefertigt. Auch Puma arbeitet an der Entwicklung von kompostierbarer Kleidung; konkret an Schuhen, T-Shirts und Taschen, die am Ende ihres Lebenszyklus entweder geschreddert und im Garten vergraben oder aber als Ausgangspunkt und Rohstoffgrundlage für neue Produkte abgegeben werden können.

Trotz dieser positiven Beispiele gibt es immer noch zu viele Unternehmen, die nach alten Standards operieren. Daraus ergeben sich aber gleichzeitig auch Potentiale zur Differenzierung, was insbesondere für kleinere, weniger dominante Unternehmen eine Chance darstellt, um bestehende Marktanteilsunterschiede zu vermeintlichen Branchenprimi auszugleichen. Oder zumindest zu minimieren.

Dabei sollten wir als Konsumenten unsere Möglichkeiten, diese Maßstäbe auch einzufordern, nicht unterschätzen. Am Ende ist nun mal der Kunde König. Und das ist mehr als eine Floskel.

Will man Cradle-to-Cradle wirklich durchdringen und auf sein eigenes Unternehmen transferieren, muss man zunächst die Grundsätze des industriellen Denkens aufgeben. Erst dann erschließt sich einem das eigentliche Potential dieser Idee und man kann Teil der Revolution werden.

Bis bald

Jan Kristof Arndt

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Jan Kristof Arndt
Autor: Jan Kristof Arndt

Innovationsberater und Autor „Von Regelbrüchen … oder der Kunst, merkwürdig zu sein“