Life in Progress! Über Transhumanismus und seine Folgen (Teil 1 von 3)

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Jan Kristof Arndt 28 März 2019 – Lesedauer: 5:05

Der Mensch ist keine Konstante; davon kann man ausgehen. Er ist eingebettet in die evolutive Entwicklung des Lebens aus Mutation & Modifikation. Wie jedes andere Lebewesen auch. Bislang war das ein ausschließlich passiver Prozess. Aber nun schickt sich eine Gruppe – die meisten sind Wissenschaftler – an, gedanklich schon mal durchzuspielen, wie man diesen Prozess aktiv vorantreiben könne. Die Antwort liegt in einer Weiterentwicklung durch die Kombination aus Mensch und Maschine. Die Denkrichtung dahinter heißt Transhumanismus und fand ihren Ursprung vor etwa 30 Jahren. „Die Anhänger dieser noch relativ jungen philosophischen und wissenschaftlichen Bewegung beabsichtigen, alle zur Verfügung stehenden technologischen Mittel einzusetzen, um den Mensch als Spezies zu optimieren und seine Fähigkeiten der Wahrnehmung, der Erkenntnis, der Reflektion und seine Leistung zu verbessern.“ [Quelle: Welt ohne Menschen? (2012) – Transhumanismus: Chance oder Albtraum?] Ihrer Ansicht nach ist der Mensch bereits durch den Einsatz „digitaler Prothesen“ (durch sein Smartphone, durch Google Glass und andere „Wearables“) „verbessert“ – also wäre es auch nur schlusslogisch, diese Entwicklung weiter zu verfolgen; schließlich gingen viele Vorteile damit einher: ein längeres und gesünderes Leben zum Beispiel.

Das Ziel … oder eigentlich eher die Vision besteht in der Kreation eines neuen, post-menschlichen Wesens, das unserer Spezies um Längen voraus ist. Einige Anhänger gehen in ihren Überlegungen so weit, dass man –sobald technisch möglich– das Individuum von seinem „fehlbaren biologischen Körper“ [Zitat: David Dalrymple] abkoppeln und ein BackUp von der Person, d.h. von seinen Eigenschaften, seinen Gefühlen und Erinnerungen erstellen und in einer Datenbank speichern könnte, um so ein endloses Leben möglich zu machen.

Der technologische Fortschritt erlaubt es uns schon heute, gewisse Grenzen der Biologie zu ignorieren und z.B. bestimmte Mangelfunktionen durch künstliche Extremitäten (und andere medizin-technische Errungenschaften wie z.B. den Stent oder das Cochlea Implant) auszugleichen. Aber darum geht es den Transhumanisten nicht – und wenn doch, dann nur ganz randläufig. Ihr eigentlicher Anspruch besteht in der systematischen Optimierung des menschlichen Lebens.

Das an sich klingt ja eigentlich auch ganz gut, oder? Mir scheint allerdings, als fänden die Anhänger des Transhumanismus vor allem die Vorstellung verlockend, den nächsten Schritt in der Evolution selbst einleiten zu können; ich mein, wer hat schon Lust ein paar Millionen Jahre zu warten, bis sich da wieder etwas tut … und dann auch noch ohne zu wissen, was am Ende dabei rauskommt.

Um zu verstehen, was sich hinter dieser Geisteshaltung verbirgt und was die Motive ihrer Anhänger sind, müssen wir Fragen stellen und überlegen, welche Konsequenzen sich aus einer künstlichen post-humanistischen Bewegung entwickeln würden.

Fangen wir also an – und fragen:

Wer sind eigentlich die Transhumanisten?

Die Transhumanisten sind keine Sonderlinge … obwohl … Ich fang nochmal an: Die Transhumanisten sind keine Freaks, sondern in vielen Fällen renommierte Wissenschaftler. Die Denkschule hat ihren Sitz an der University of Oxford – einem der wissenschaftlichen Epizentren Europas und Ausbildungsstätte unzählig vieler Berühmtheiten, wie z.B. Aldous Huxley (der explizit vor dem Transhumanismus warnte), Stephen Hawking (dessen Position ich zu diesem Thema nicht kenne) und Adam Smith (der sich –im 18. Jahrhundert lebend– damit wohl noch nicht hat auseinandersetzen müssen, als Verfechter freier Märkte und Entwicklungen wahrscheinlich aber nichts dagegen gehabt hätte).

Zu den bedeutendsten Vertretern des Transhumanismus gehörte der iranisch-amerikanische Philosoph und Schriftsteller Fereidoun M. Esfandiary, der sich später den etwas eigenwilligen Namen FM-2030 gab – einerseits weil er davon träumte, das Jahr 2030 erleben zu dürfen, andererseits aus Protest gegen die tribalistischen Wurzeln unserer Namensgebung, nach denen man bereits am Vornamen einer Personen erkennen könne, woher sie stammt, d.h. auch, welcher Schublade sie zugeordnet werden kann [gar kein so uninteressanter Ansatz, wenn Sie mich fragen]. FM-2030 glaubte an die Zukunft bzw. er glaubte an eine Zukunft, in der man alterslos leben könne und der Tod ein Relikt vergangener Tage sei – für viele Menschen eine faszinierende Vorstellung; vor allem dann, wenn man die damit einhergehenden Risiken ignoriert. Im Jahr 2000 ist FM-2030 gestorben … und hat sich einfrieren lassen. Natürlich! Dem Mann ist es also tatsächlich ernst damit, irgendwann einfach nochmal oder vielmehr weiterzuleben.

Eine Handvoll Wissenschaftler und Philosophen alleine reicht natürlich noch nicht aus, um aus einer Überlegung einen medizin-technischen Trend abzuleiten (und so weit sind wir auch noch nicht). Aber durch das zunehmende Interesse v.a. des Militärs (z.B. an sog. Super-Soldaten) und einiger Großkonzerne steckt hinter den Überlegungen auch eine Menge Geld – und die Macht, Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen zu können. Und genau deshalb müssen wir uns mit diesem Thema und möglichen Folgen auseinandersetzen

Gibt es einen Markt für solche Ideen?

Die Angst vor dem Tod ist so alt wie der Mensch selbst; ist ja schließlich auch keine angenehme Sache … das mit dem Sterben. Das gilt nicht nur für einen selbst. Jeder, der schon mal eine für ihn wichtige Person verloren hat, würde sich wünschen, dass diese noch leben würde, dass man ihr hätte helfen und ihr Leben verlängern können! Man müsste also annehmen, dass wir wirklich alles unternehmen würden, um den Tod zu besiegen. Auch wenn das bedeuten würde, dass wir die Grenzen des Menschseins und der Menschlichkeit überschreiten müssten. Aber da gibt es ein Problem (na ja, eigentlich gibt es noch ein paar mehr, aber vor allem das eine): nämlich unser moralisches Gewissen – eine Eigenschaft, die zwar unterschiedlich ausgeprägt, aber doch relativ weit verbreitet ist. Und Moral hat immer auch etwas mit dem Schutz der Schwächsten zu tun. Und genau die hätten in einer „künstlichen“ Welt wirklich nicht mehr viel zu lachen.

Die Transhumanisten bemühen gerne das Prinzip der morphologischen Freiheit, nach dem jeder für sich entscheiden dürfe, ob er „verbessert“ werden will oder nicht. Aber das ist ja Quatsch. So argumentiert jemand, der zu viel Zeit im Labor und definitiv zu wenig mit anderen Menschen verbracht hat. Einerseits könnten natürlich nur die wenigsten sich ein solches „Tuning“ leisten, andererseits würde der bewusste Verzicht auf solche Maßnahmen in einer durchdesignten Welt bedeuten, dass man sich selbst ins Aus stellen würde. Und ob die Erstanwender solcher Technologien wirklich daran interessiert wären, dass durch Subventionen und Skaleneffekte auch weniger gut situierte Menschen sich eine Aufrüstung Ihres Körpers leisten könnten, wage ich zu bezweifeln. Wer auch immer sich als erster „pimpen“ ließe, dem dürfte kaum daran gelegen sein, dass andere es ihm gleich tun; und wenn, dann zumindest nicht sehr viele… nur ein paar; damit man nicht so alleine ist in all seiner Perfektion. Ein solches Verhalten würde zu Klassenunterschieden führen, wie die Welt sie noch nicht gesehen hat. Das bringt uns schon fast zurück in die ganz dunklen Zeiten der deutschen Geschichte, erinnert es doch stark an die Rassenforschung der Nationalsozialisten und deren Suche nach dem Über-Menschen. Wahrscheinlich sind es auch deshalb gerade unsere Wissenschaftler und Politiker, die sich vehement gegen eine solch künstliche Aufwertung des Menschen sträuben.

Es gibt auch heute schon Angebote, die die Sehnsucht nach einem anderen, nach einem erweiterten Leben aufgreifen und zu befriedigen versuchen. SECOND Life zum Beispiel. Aber hier darf man sich am Ende des Abends ausloggen und wieder ein ganz normales Leben führen – mit all seinen Facetten (auch denen der Unvollkommenheit). In einer transhumanen Welt –zumindest wenn man diesen Pfad wirklich bis ans Ende gehen sollte– ginge das nicht.

Im nächsten Teil geht es um das Für und Wider einer transhumanistischen Idee und die sich aus einer solchen Entwicklung ableitenden Konsequenzen für uns Menschen.

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Viel Spaß beim Lesen
Jan Kristof Arndt
Autor: Jan Kristof Arndt

Innovationsberater und Autor „Von Regelbrüchen … oder der Kunst, merkwürdig zu sein“

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