Life in Progress! Über Transhumanismus und seine Folgen (Teil 2 von 3)

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Jan Kristof Arndt 28 März 2019 – Lesedauer: 5:10

Fortsetzung des 1. Teilbeitrags

Was sind die wesentlichen Argumente der Transhumanisten?

Die Transhumanisten bedienen sich allzu gerne der klassischen Aufforderungen des Innovationsmanagements und sagen, dass man die ausgetretenen Pfade des Denkens verlassen müsse, wenn man Neues entdecken wolle. Und das stimmt. Dass alles irgendwann einmal neu definiert werden müsse. Und ja, auch das ist richtig – wenn es um Produkte oder Geschäftsmodelle, um Prozesse oder die eigene Außendarstellung geht. Aber gilt das auch für den Menschen? Als solchen? Das Credo der Transhumanisten lautet: je besser desto besser; ziemlich egal, wie das zu gewährleisten ist. Sie denken in Potentialen (was ich eigentlich auch sehr befürworte). Sie betonen, dass wir die Möglichkeiten zur Leistungsoptimierung noch lange nicht ausgeschöpft hätten. Und irgendwie stimmt das ja sogar – für viele Bereiche zumindest. Aber: Der Mensch –so wie wir ihn kennen– als schwaches Glied von morgen? Das soll unsere Zukunft sein?

Sie –die Transhumanisten– fragen, ob man es nicht versuchen sollte, wenn es doch unser Leben so viel besser machen würde. Und man möchte ihnen zurufen: „Ja klar, wo sollen wir anfangen?“ Aber: Was heißt eigentlich „besser“? Und wer beurteilt das? Welche Bewertungskriterien werden angelegt, um die Qualität menschlichen Lebens zu beurteilen? Und wie geht man mit Abweichungen vom Optimum um?

Der frühere Fußballtrainer und Weltenbummler Detlev Cramer hat einmal gesagt: „So lange besser möglich ist, ist gut nicht genug!“ [bekannt unter anderem aus der Werbung der Volks- und Raiffeisenbank] Und ich muss sagen: Ich mag diesen Ansatz. Ich mag es, weil Cramer uns damit sagen wollte, dass man immer bemüht sein sollte, sein Bestes zu geben – und manchmal noch ein bisschen mehr! Aber nur –und ich bin mir sicher, dass er das auch so sehen würde– solange man sich im Raum des rechtlich und moralisch Erlaubten aufhält. Aus diesem Grunde ist es Sportlern untersagt zu dopen, Bankern zu betrügen und … na ja, uns allen, Steuern zu hinterziehen. Wenn es nur um das Ergebnis ginge, dann müssten wir bewusstseinserweiternde Drogen als Ergänzungsmittel in unseren Ernährungsplan einbauen („Na Schatz, hast Du heute schon Dein LSD genommen?“) und unseren Kindern beibringen, wie sie möglichst wirkungsvoll und zu ihren Gunsten den Libor-Zinssatz manipulieren können.

Fakt ist: Die Leistung des Einzelnen wie auch des Kollektivs ist in einer neo-liberalen Gesellschaft das wichtigste Bewertungskriterium. Und um in einer solchen Gesellschaft mithalten zu können, wäre es fahrlässig auf eine Individual-Optimierung zu verzichten. Der Gedanke geht so weit, dass z.B. künstliche Beine so viel besser sein werden als natürliche, dass auch gesunde Menschen sich für eine Amputation entscheiden und ihre Beine gegen entsprechende Höchstleistungsprothesen eintauschen. Das gleiche gilt –in der Vorstellung der Transhumanisten– auch für Hände und Augen –für alles, was Einfluss auf unsere Leistungsfähigkeit hat– und damit auch für unser Gehirn. Die Transhumanisten träumen davon, dass man neues Wissen irgendwann einfach nur noch hochladen muss; wie bei einem Computer. Manche Leute finden das spannend (völlig langweilig finde ich solche Gedankenspiele auch nicht). Wer sich dem allerdings entzieht (oder sich eine solche Behandlung schlicht nicht leisten kann), landet automatisch am Ende der Nahrungskette – ein Szenario sehr gut beschrieben von Andrew Niccol in seinem Film „Gattaca“!

Vom Möglichen ist schon immer ein gewisser Reiz ausgegangen. Aber: Nur weil etwas möglich ist, bedeutet das nicht, dass es auch umgesetzt werden muss. Sie zum Beispiel könnte jetzt aufstehen, bei Ihrem Nachbarn klingeln und ihm mit Anlauf vor sein Schienbein treten. Aber das heißt doch noch lange nicht, dass Sie das auch machen. Oder? [Bitte fühlen Sie sich nicht herausgefordert!] Die erste Regel des Regelbruchs besteht darin, dass nicht jede Regel gebrochen werden darf – auch wenn es möglich wäre. Machbarkeit ist –und das ist kein ganz unwesentlicher Aspekt in der Innovationslehre– nicht das einzige Bewertungskriterium von Ideen. Da gibt es auch noch den oft bemühten „Aha-Effekt“ (also das, was eine Idee spontan in einem auslöst), die Wirtschaftlichkeit, die Neuartigkeit und viele weitere Kriterien mehr. Und wenn eine Idee (und das wäre im Fall des Human Enhancements vielleicht sogar der Fall) den meisten dieser Kriterien standhalten kann und in der Bewertung gut abschneidet, dann muss man zum Ende noch einmal schauen, ob entsprechende Veränderungen auch einer moralischen Prüfung genügen würden … und da –behaupte ich– stößt der Transhumanismus an eine Grenze.

Für menschliches Leben gelten andere Maßstäbe als … na, sagen wir mal, für Kaffeemaschinen. Ich glaube, die Kriterien eines optimalen Zustandes sind ganz andere als Perfektion. So kann auch ein Leben mit Makeln ein sehr erfülltes sein. Ich z.B. habe bis zu meiner letzten Operation in 2012 jahrelang eine chronische Entzündungen im Innenohrbereich gehabt – und bin trotzdem ganz zufrieden. Außerdem sind meine Augen nicht so gut (- 6,5 Dioptrien). In einer pränatalen Auslese wäre ich also wahrscheinlich durchgefallen. Und trotzdem … und ich hab extra nochmal nachgefragt … sind meine Eltern froh, dass sie mich haben.

Es ist Kindergartenpsychologie, wenn man den Menschen vorhält, sie würden einfach nur zu viel Angst vor dem Ungewissen haben und sich deshalb diesen Neuerungen verschließen. Ich sag Ihnen: Wer sich davon beeinflussen lässt, hat einen … verdient, und zwar mit Anlauf!

Was wäre in einer transhumanistischen Welt eigentlich noch wie viel wert?

Oder lassen Sie mich die Frage anders stellen: Auf welche Ihrer Leistung in der Vergangenheit sind Sie heute noch besonders stolz? Haben Sie z.B. mal eine Sprache gelernt [also so richtig fließend]? Oder sind Sie schon mal einen Marathon gelaufen? Haben Sie vielleicht schon einmal etwas besonders Schönes gebastelt oder gebaut? Oder Widerstände überwunden, um an ein Ziel zu kommen? Bestimmt, oder? Was wäre eine solche Leistung noch wert, in einem Zeitalter der elektronischen Gehirne und künstlichen Extremitäten, in dem einige, von mir aus sogar die meisten perfekt – oder zumindest fast perfekt wäre? Dazu ein kleines Experiment:

Schauen Sie sich doch bitte mal folgendes Video an: " target="_blank">Hier klicken

Was ist Ihnen gerade durch den Kopf gegangen? Also, meine erste Reaktion war: „Krass! Einfach nur krass! Wie schafft es dieser Mensch – Guillaume Nery – derart lange unter Wasser zu bleiben?“ Aber: Mit einer Höchstleistungslunge könnte irgendwann jeder so etwas, und dann wäre es eben nicht mehr krass, sondern einfach nur normal – irgendwie langweilig. Es gäbe nichts, was uns noch beeindrucken würde. Die Welt wäre einfach nur noch grau – die Farbe der Perfektion. In einer Höchstleistungsgesellschaft würden Talente eigentlich keine große Rolle mehr spielen; schließlich könnte man empfundene Defizite auf Knopfdruck ausgleichen; eine Art digitales Doping. Ich verstehe ja, dass es für viele reizvoll wäre, Sprachen einfach hochladen und Gedanken speichern zu können; so wie in der Matrix (und ein bisschen wie bei Harry Potter). Aber gleichzeitig führt diese Fähigkeit zu einer Ent-Menschlichung. Und zu einer Ent-Regionalisierung. Kulturleistungen der Geschichte würden im Glanze des nun Möglichen verblassen. Vor und nach Christus – das hätte für die meisten keine Bedeutung mehr. Entscheidend wäre ausschließlich der Zeitpunkt ihrer ganz individuellen Optimierung.

Aber was, wenn der techno-wissenschaftliche Fortschritt zu einer Rückentwicklung anderer Formen z.B. sozialer Errungenschaften führen würde? Was ist er dann noch wert? Die einen sagen alles – die anderen nichts. Das ist –und das wiederum liegt in der menschlichen Natur– abhängig davon, welche Seite man vertritt, ob man sich eher für geisteswissenschaftliche Themen oder die Biologie, für Gott oder den technologischen Fortschritt interessiert. Jedes Argument lässt sich drehen und wenden. Und dann wieder drehen. Jeder weiß seine Position schlüssig zu vertreten. Die Frage ist, wem man am Ende Glauben schenkt.

Aber zurück zu der Ausgangsfrage: In einer transhumanen Welt, wäre alles immer nur so viel wert wie das letzte UpDate. Nicht mehr – nicht weniger!

Im nächsten und letzten Teil dieses Beitrags geht es um mögliche Konsequenzen einer post-humanistischen Bewegung für unsere Identität als Mensch, bevor ich dann ein Fazit ziehe.

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Bis bald
Jan Kristof Arndt
Autor: Jan Kristof Arndt

Innovationsberater und Autor „Von Regelbrüchen … oder der Kunst, merkwürdig zu sein“

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