Alles wird gut! Von Krisen und Chancen

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Jan Kristof Arndt 26 März 2019

Der Mensch an sich „liebt“ schlechte Nachrichten – natürlich nicht, wenn sie ihn selbst betreffen, aber im Falle anderer steigt die Aufmerksamkeit. Auch aus diesem Grunde ist die Tagesschau –als stellvertretendes Format der deutschen Medienlandschaft– kaum mehr als eine Aneinanderreihung grauenerregender Ereignisse. Damit lässt sich nun mal die beste Quote erzielen. Gute Nachrichten haben es da schon deutlich schwerer und werden nur dann ins Programm aufgenommen, wenn es sich wirklich nicht vermeiden lässt.

Nun muss man die Verantwortlichen solcher Nachrichtensendungen natürlich auch in Schutz nehmen – momentan gibt es einfach nicht sehr viele Ereignisse, die das Potential haben, Jubelstürme auszulösen. Im Gegenteil: Seit Monaten schon hat man das Gefühl, die Welt wäre irgendwie verrückt geworden. Offensichtlich hat es Putin nie wirklich verschmerzt, eben nur eine von vielen Geigen im Konzert der Großen zu sein und sich durch die Vorgaben seiner Vorgänger einschränken zu müssen. Stattdessen spielt er lieber vor einem Auditorium aus Ja-Sagern mit der Kriegstrommel seiner geistigen Vorbilder und isoliert so nicht nur sich, sondern auch Russland – und das auf Jahre. Dazu kommen die tragischen Ereignisse in Syrien und im Irak, im Norden Nigerias und in Libyen, wo Menschen ihrer Religion, ihrer Herkunft und Sexualität wegen gequält, versklavt und getötet werden. Ich hätte mir kaum vorstellen können, dass wir uns im 21. Jahrhundert wieder mit solch abscheulichen Themen auseinandersetzen müssen. Man könnte verzweifeln – oder eben auch nicht! Denn: Die Zukunft ist nicht so schlecht, wie uns die Berufspessimisten glauben machen wollen.

Natürlich konnten wir in den letzten Jahren viele sogenannte Wild Cards beobachten – also: disruptive Ereignisse, die sich (in der Regel) gefährdend auf unsere Gesellschaft auswirken. Hierzu zählen einzelne Momente, aber auch Ereignisketten, wie etwa die noch vor (na, sagen wir mal) 18 Monaten nicht abzusehende Krise im Osten der Ukraine. Weitere Beispiele für solche Wild Cards sind die Erdbebenkatastrophe von Fukushima und die Jahrhundertflut im Süden und Osten Deutschlands in 2013. Auch das ja doch sehr plötzliche Auftreten der „AfD“ wird (zumindest von vielen Menschen) als solch ein Störereignis verstanden, welches zu einer politischen Neuverteilung und (zumindest in Teilen) auch zum Zwangsabstieg der FDP geführt hat.

Aber: unsere Gegenwart und Zukunft allein auf solche Negativausprägungen zu reduzieren, ist gefährlich, lenken sie doch von der Tatsache ab, dass die gesamtgeschichtliche Entwicklung der Menschheit –aller zurückliegenden Katastrophen zum Trotz– eine Erfolgsstory ist.

Tatsächlich haben sich fast alle relevanten Kriterien für die Beurteilung des Gesellschaftsniveaus von Ländern im Allgemeinen zum Besseren entwickelt – und das nicht nur in Zentraleuropa, sondern selbst in den vermeintlich ärmsten Ländern wie Äthiopien. Das betrifft die Säuglingssterblichkeit, die Lebenserwartung, das allgemeine Zufriedenheitsempfinden und die Alphabetisierungsquote – neben zahlreichen anderen Faktoren. Tatsächlich ging es uns nie besser als heute, was auch an der zunehmenden Digitalisierung liegt. Die Möglichkeiten der individuellen Entfaltung waren noch nie so vielseitig, was manchen Menschen schon wieder Angst zu machen scheint – und Angst ist nach wie vor ein gerne benutztes Instrument, um Aufmerksamkeit zu erregen.

Die „Doomsayer“ unter den (oft selbsternannten) Zukunftsexperten konzentrieren sich in ihren Einschätzungen gerne auf (aus ihrer Sicht) drohende Negativereignisse. Dazu zählen der Zusammenbruch des Finanzsystems, ein Krieg der Religionen, die Menschheit bedrohende Pandemien und gerne auch der Zusammenbruch des Internets. Kurzfristig mag man versucht sein, ihnen in ihrer Einschätzung Recht zu geben. Schließlich versteht sich die von vielen als „Islamischer Staat“ bezeichnete Terrorgruppe als Akteur in eben einem solch religiösen Weltkrieg. Und auch Ebola könnte sich zu einer ernstzunehmenden Gefahr für unsere Zivilisation entwickeln (auch wenn ich den Eindruck habe, dass zumindest über dieses Thema in den letzten Wochen schon wieder seltener berichtet wurde). Nur –und das wird in der ganzen Diskussion häufig außer Acht gelassen– verläuft Zukunft in den seltensten Fällen linear! Und so müssen wir eben auch zwischen behaupteten und realen Trends unterscheiden. Nur weil Ray Kurzweil feststellt, dass wir im Begriff sind, die Grenzen der menschlichen Existenz zu überwinden, und durch die Verschmelzung mit technischen Prothesen zu intelligenten, vielleicht sogar unsterblichen Maschinen zu werden, heißt das nicht, dass das zwangsläufig auch so kommen muss – selbst wenn es technisch möglich wäre. Tatsächlich zeigen Studien, dass gerade das Schöne im Leben (also Liebe, Kunst etc.) aus dem Gefühl einer gewissen Endlichkeit gespeist wird; die Aufhebung dieses Umstandes also in einer Welt ohne jeden Reiz münden würde. (Wer sich mit diesem Thema näher auseinandersetzen möchte, kann ja mal einen Blick in folgenden Artikel werfen: „Life in Progress! Über Transhumanismus und seine Folgen“)

Die Verwendung und Interpretation von Daten ist oft abhängig von persönlichen Interessen. Das gilt für den Klimawandel, die momentanen Flüchtlingsbewegungen und für alles andere eben auch. Da die klassischen Medien aufgrund zunehmender Kanibalisierungseffekte durch kostenlos bereitgestellte Informationen im Internet mit schwindenden Verkaufszahlen zu kämpfen haben, werden die Überschriften immer reißerischer, die Bilder immer schrecklicher und vor allem die Moderatorinnen immer hübscher (zumindest in meiner Wahrnehmung). Oft werden Krisen herbeigeschrieben, um selber nicht in selbige zu schlittern. Und das zu entlarven und sich nicht verunsichern zu lassen, ist eine der ganz großen individuellen Herausforderungen, denen sich jeder von uns zu stellen hat.

Überlegen Sie doch mal, wo wir heute stünden, wenn die Zukunftspopulisten (von damals) in der Einschätzung richtig gelegen hätten, dass die Idee eines gemeinsamen Europas an der Finanzkrise scheitern würde. Zum Glück ist die Prognose-Effektivität solcher Menschen in der Regel nicht sehr hoch: Anstelle des kollektiven Zusammenbruchs konnten wir zuletzt beobachten, dass der DAX einen historischen Höchststand erreichte – dass Irland nicht länger auf europäische Hilfsprogramme angewiesen ist – und sogar die Bonität der zuletzt so arg gebeutelten Südstaaten Europas wieder stieg. Chaos sieht nach meiner Einschätzung anders aus!

Krisen sind häufig gar nicht so schlimm, wie wir immer meinen – man muss nur mit ihnen umzugehen wissen. Und dazu gehört eben auch, dass man versucht, das Positive aus einer solchen Phase abzuleiten. Natürlich hat die Pest damals Millionen von Menschen das Leben gekostet, aber sie führte eben auch zur Etablierung völlig neuer Hygienestandards – und diese wiederum beeinflussten die Lebenserwartung aller nachfolgenden Generationen positiv. Eine ähnliche Wirkung könnte Ebola im Westen Afrikas haben (zumindest hoffe ich das).

Widerstände sind (auch wenn das ein bisschen esoterisch klingen mag) oft nicht mehr als konkrete Herausforderungen, an deren Überwindung eine Gesellschaft wachsen kann – insofern spielen diese auch eine besondere Bedeutung mit Blick auf die Wohlstandsentwicklung von Nationen. Der Zusammenbruch der DDR war für viele Menschen weit schwieriger zu verkraften, als die Politik das nach außen zu verkaufen versucht hat. Und auch heute gibt es noch Menschen, die von früheren Tagen träumen und behaupten, dass damals alles besser gewesen sei. Aber: so schwer die Zeit der schrittweisen Annäherung nach 1989 auch gewesen sein mag, so viel wurde seitdem erreicht. Ob Kohls Vision von blühenden Landschaften wahr geworden ist, kann ich nicht beurteilen (es gibt Bereiche, auf die das zutrifft und andere, die leider nicht am Aufschwung haben partizipieren können). Fakt ist aber, dass man über alle Bevölkerungsschichten hinweg eine positive Einkommensentwicklung beobachten kann – dass die medizinische Versorgung besser geworden ist – und die Aufstiegschancen zugenommen haben.

Auch die „Familie“ als soziales Gefüge soll ja angeblich kurz vor dem Scheitern stehen. Aber das stimmt doch nur, wenn wir die Maßstäbe aus (fast) vergangenen Zeiten anlegen. Es ist zutreffend, dass Frauen in Deutschland heute deutlich später und auch weniger Kinder bekommen, als das früher der Fall war – dass die Scheidungsrate in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist – aber das bedeutet doch nicht, dass die Familie als solche im Begriff ist auszusterben. Nur funktioniert sie heute eben anders, als das irgendwann einmal der Fall war – das gilt nicht für alle Familien, aber für viele. Da haben Kinder schon mal mehrere (zum Teil sogar wechselnde) Eltern und demnach auch Geschwister. Das muss nicht optimal sein – kann es aber. Von einer übergreifenden Verurteilung solcher Patchwork-Modelle rate ich ab; das lässt einen irgendwie verstaubt aussehen.

So richtig ernst wird es für eine Gesellschaft erst dann, wenn alles „in Butter“ zu sein scheint und die Menschen anfangen, in ihrem Kopf einen Bauch anzusetzen. Denn: Kollektive Zufriedenheit verhindert jede Form von Fortschritt. Auch in Deutschland müssen wir aufpassen, dass wir trotzt aller wirtschaftlichen Erfolge nicht den Zeitpunkt notwendiger Reformen verschlafen. Zum Glück hat Wolfgang Schäuble angekündigt, neue Investitionsprogramme auflegen zu wollen – ein wichtiges Signal (auch für die jüngeren Generationen).

Die meisten Modelle zur Erfassung des scheinbar Nichtwahrscheinlichen zielen auf sog. X-Events und damit auf mögliche, unsere Menschheit vernichtende Katastrophen ab, was sich auch in vielen Filmen zum Thema Zukunft widerspiegelt. Das bringt uns wieder zum Quotendenken und damit an den Anfang dieses Artikels. Aber es gibt auch andere Untersuchungen (zum Beispiel vom Zukunftsinstitut), die für die nächsten 50 bis 100 Jahre „das Ende des Hungers“ vorhersagen – kein schlechtes Szenario, wenn Sie mich fragen. Ebenso finden sich Einschätzungen, nach denen wir schon bald „einen Überfluss an grüner Energie“ erfahren könnten und ein „ein Zeitalter des Friedens“ eingeleitet wird. Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber ich möchte lieber an solche Entwicklungen glauben (Sie kennen ja das Prinzip der „selbsterfüllenden Prophezeiung“). Solche Einschätzungen basieren nicht etwa auf den Hoffnungen irgendwelcher Zukunftsenthusiasten. Es gibt Zahlen, die in eben genau diese Richtung zeigen – und das aller momentanen Entwicklungen zum Trotz. Nun soll man ja bekanntlich keiner Statistik trauen, die man nicht selber gefälscht hat. Und ja – auch hier gilt, dass man kritisch bleiben muss und sich nicht abhängig machen sollte von den Einschätzungen anderer. Und dennoch spielt unser Glaube an einen positiven Verlauf natürlich eine wichtige Rolle im Entwicklungsprozess – schließlich passiert Zukunft nicht einfach. Sie ist das Produkt unserer Anstrengungen.

Wer sich eine gewisse Flexibilität erhält und auch an das Gute zu glauben bereit ist (eine wichtige Voraussetzung für die Stärkung des geistigen Immunsystems), geht in der Regel als Gewinner aus einer Krise hervor und hat danach gute Aussichten, die Grenzen seines Marktes zu seinem Vorteil zu verschieben (zumindest betriebswirtschaftlich betrachtet).

Machen wir uns nichts vor: Das Vertrauensverhältnis zwischen Russland und dem Westen ist auf Jahre beschädigt, der Arabische Frühling und die daraus resultierenden Unruhen werden uns noch lange begleiten und auch über Epidemien und Hungerkatastrophen wird in Zukunft berichtet werden. Und trotzdem sage ich: Alles wird gut – oder zumindest besser! Das ist keine Frage der Hoffnung, sondern der Wahrscheinlichkeit.

Wir dürfen unseren Blickwinkel nicht allein auf das reduzieren (lassen), was unser Leben negativ zu beeinflussen versucht. Die Zukunft ist sicher nicht rosarot – aber eben auch nicht schwarz. Das sollten wir uns merken. Es liegt also auch an uns (an Ihnen und an mir) zu entscheiden, wer am Ende Recht behält: der Pessimist – der Optimist – oder zumindest der Possibilist.

Auf bald

Jan Kristof Arndt

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Jan Kristof Arndt
Autor: Jan Kristof Arndt

Innovationsberater und Autor „Von Regelbrüchen … oder der Kunst, merkwürdig zu sein“