Life in Progress! Über Transhumanismus und seine Folgen (Teil 3 von 3)

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Jan Kristof Arndt 28 März 2019 – Lesedauer: 4:55

Fortsetzung des 2. Teilbeitrags

Welche Konsequenzen hätte eigentlich eine transhumanistische Entwicklung auf uns als Menschen?

Die zunehmende Verschmelzung zwischen realen und digitalen Inhalten zu etwas Neuem ist längst Teil unseres Alltags geworden. Maschinen unterstützen uns – in fast jedem Moment – und das überall! Wir haben das zugelassen, weil uns der technologische Fortschritt geholfen hat, besser zu funktionieren – beruflich und privat. Und doch müssen wir überlegen, wie weit diese Entwicklung gehen darf? Und was das für uns als Menschen bedeutet?

Ich denke, also bin ich – so die wahrscheinlich bedeutendste philosophische Erkenntnis René Descartes‘ vor etwa 300 Jahren. Aber wer ich bin – und wer ich in Zukunft sein möchte – das ist dadurch noch nicht geklärt. Die Antwort hierauf muss vor allem erstmal jeder für sich selbst beantworten und genau überlegen, wie er/sie die ihm/ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen (also Zeit, Intellekt, Kraft etc.) einsetzen möchte, um dahin zu kommen. Warum? Weil wir wissen, dass wir nicht für immer leben. Das Wissen um die Endlichkeit des eigenen Lebens unterscheidet uns von anderen Säugetieren (neben zwei, drei anderen Merkmalen natürlich). Die Grenzen des Seins, die Akzeptanz des Unmöglichen – genau das sind wesentliche Faktoren, die das Leben als Mensch ausmachen; auch wenn viele von uns sich darüber definieren, ihre Grenzen immer wieder neu zu definieren – im Sport zum Beispiel. Aber hier geht es nicht darum, die 7 Kilometer rund um die Alster irgendwann in unter 35 Minuten laufen zu können, sondern um die Grenzen des Daseins.

Ich glaube, wir wissen schlicht nicht genug über uns selbst, als dass wir abschätzen könnten, welche Auswirkungen eine Entwicklung im Sinne der Transhumanisten auf uns und unsere Selbstwahrnehmung hätte. Was würde die systematische Verschmelzung mit Maschinen für unser Identifikationsgefühl als Mensch bedeuten? Und was nicht? Welche Konsequenzen ergäben sich für unsere Demokratie? Und wie genau müsste man sich das Zusammenleben optimierter und „normaler“ Menschen vorstellen?
Es sind einfach zu viele Fragen unbeantwortet: Was ist, wenn uns jemand durch einen entsprechenden Eingriff ins Gehirn auf einmal leistungstechnisch weit überlegen wäre? Würden wir dann nicht auch das Bedürfnis verspüren, uns einer solchen Prozedur zu unterziehen? Vielleicht einer noch weitreichenderen? Wie sähe ein Daten-Crash auf dieser Ebene aus? Und könnte Google unsere Gedanken lesen? Oder steuern? Welche Konsequenzen hätte es für den Arbeitsmarkt, wenn einer auf einmal in der Lage wäre die Arbeit von vielen zu übernehmen? Könnten wir das durch das Schaffen neuer Geschäftsfelder kompensieren? Wie müsste man sich das alles vorstellen?

Darauf Antworten zu finden, ist nach heutiger Kenntnislage fast unmöglich. Aber ich behaupte, dass sich die Regeln des zwischenmenschlichen Umgangs radikal verändern würden. Und damit auch unser gesellschaftliches Miteinander. Ich bin mir nicht sicher, ob wir es uns in einer transhumanen Welt noch erlauben könnten, Rücksicht auf andere zu nehmen; schließlich könnten diese mit nur einem UpDate wieder an uns vorbeiziehen.
Die Transhumanisten argumentieren über Produktivitätsvorteile; aber der Mensch ist doch mehr als der Erbringer physischer, meinetwegen auch psychischer Höchstleistungen. Menschliches Leben definiert sich vor allem über Faktoren, die technisch nicht erzeugt werden können. Liebe zum Beispiel. Und Großzügigkeit. Solidarität. Und Mitgefühl. In einer hochtechnologischen Welt spielen solche Werte höchstens noch eine untergeordnete Rolle. Wenn überhaupt.

Die Integration moderner Technologien in unser Leben ist absolut sinnvoll. Aber: Die Conditio Humana programmieren, also auf Knopfdruck verändern zu wollen, ist ein höchst gefährlicher Anspruch.

Fazit

Viel von dem, was uns die Transhumanisten versprechen, klingt verheißungsvoll: die Überwindung biologischer Grenzen – die Erschließung neuer Potentiale – ein in sich optimiertes Leben. Aber: Nicht alles, was glänzt … na ja, Sie wissen, wie es weitergeht. Es gilt, sich differenziert mit diesem Thema auseinanderzusetzen und selbst zu entscheiden, inwieweit man der Idee von einer post-humanistischen Welt zustimmt. Oder eben auch nicht!

Natürlich sind gewisse Entwicklungen sinnvoll. Vielleicht sogar eine teilweise Umsetzung der Idee von einem transhumanen Leben. Jeder Soldat, der im Kriegseinsatz verletzt wurde und im Zuge dessen z.B. ein Bein verloren hat, ist dankbar um die Möglichkeit, durch künstliche Prothesen (halbwegs) normal am Leben partizipieren zu können. Durch neuromedizinische Fortschritte ist es gelungen, den Krankheitsverlauf z.B. von Parkinson zu verlangsamen; zumindest in vielen Fällen. Und auch eine Haut mit einprogrammiertem UV-Schutz klingt verheißungsvoll – zumindest im ersten Augenblick. Wenn man diesen Weg aber gedanklich bis zum Ende geht, kommt man um synthetisch produzierte Körper und „getunte“ Gehirne nicht umhin – und dabei läuft es mir heiß und kalt den Rücken runter.

Seit jeher nutzen wir Technik, um unser Leben besser gestalten zu können (beginnend beim Faustkeil). Und das ist gut und richtig. Roboter im Alltag? Das wird kommen – da bin ich sicher. Und warum auch nicht? Die Frage aber lautet immer: Wo ist wann eine Grenze zu ziehen, um das Menschliche in uns zu erhalten und vor einer zu starken „Vertechnisierung“ zu schützen?

Die Idee von einer künstlichen Weiterentwicklung menschlichen Lebens mag für einige spannend klingen – aber nur, wenn wir die dunkle Seite des Menschen ignorieren und uns keine Gedanken darüber machen, was passieren könnte, wenn entsprechende Technologien z.B. in die Hände von Terroristen fallen würden. Schon das (oft bemühte) Argument, dass es an uns läge, wie wir Technologie einsetzen würden – ob zum Vor- oder zum Nachteil der Menschheit – zeigt doch das immense Risikopotential dieser Ideenlehre. Es ist wie mit Waffen. Wer glaubt, dass jeder, der sie in Händen hält, auch verantwortungsvoll damit umgehen würde, der ist einfach nur naiv.

Die Transhumanisten wären nicht die ersten, die den Geist, den sie riefen, ziemlich schnell wieder verfluchen würden. Auch Ikarus wollte hoch hinaus. Und das Ende seines Höhenfluges ist hinlänglich bekannt.

Man darf die Transhumanisten nicht pauschal verurteilen. Die meisten sind Wissenschaftler. Und Wissenschaftler fragen nach dem Möglichen. Da vergisst man … oder anders: vergessen einige schon mal ihre moralische Verantwortung. Die Sehnsucht nach Fortschritt – das ist ihr Antrieb. Und diese Sehnsucht hat unsere Welt zu dem gemacht, was sie heute ist. Wissenschaft schafft neues Wissen – und genau diesem Umstand verdanken wir so fantastische Erfindungen, wie die Computertomographie, die Insulinbehandlung von Diabetikern oder die Möglichkeit, sich durch Impfungen vor Hepatitis zu schützen. Andere Themen stehen gerade vor dem Durchbruch – so zum Beispiel die Individualmedizin oder die künstliche Erzeugung transplantationsfähiger Organe (Bioprinting). Die Grenzen der klassisch–medizinischen Forschung sind noch lange nicht erreicht: Verbesserungen auf diesem Gebiert werden unser Leben nicht nur verlängern, sondern auch lebenswerter machen (insbesondere im Alter). Der im Transhumanismus verfolgte Ansatz geht aber weit darüber hinaus – zu weit, wie ich glaube. Wenn unser Leben nicht nur verbessert, sondern als Sache neu definiert werden soll, glaube ich, dass eine rote Linie überschritten wird.

Es hat nichts mit Fortschrittsverweigerung zu tun, wenn man sich gegen die Gedankenspiele der Transhumanisten und deren Vorstellung von einer besseren Zukunft auflehnt. Und das sag ich als Innovationsberater! Eine wesentliche Eigenschaft erfolgreicher Innovatoren ist eine ausgeprägte Risikointelligenz – und diese hat nun mal auch etwas damit zu tun, ob man die Konsequenzen seines Handelns abzuschätzen vermag. Oder nicht. Und ich behaupte, dass die meisten Transhumanisten das nicht … hmmm … „können“ ist wahrscheinlich das falsche Wort … „wollen“ trifft es wohl eher. Eine Entwicklung, so wie von FM-2030 (einem der Begründer des Posthumanismus) und seinen Mitstreitern angestrebt, wäre unumkehrbar. Inwieweit wir das wollen, liegt an uns.

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Bis bald
Jan Kristof Arndt
Autor: Jan Kristof Arndt

Innovationsberater und Autor „Von Regelbrüchen … oder der Kunst, merkwürdig zu sein“

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