Von Schrebergärten und Risikokulturen – Warum Fehler zum Innovationsprozess gehören

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Jan Kristof Arndt 22 März 2019

Es gibt nicht viele betriebswirtschaftliche Herausforderungen, die größer sind als die, eine Idee erfolgreich am Markt zu platzieren. Wäre dies ein Zitat, so würde es vom Markt selbst stammen. Egal, welche Quelle man bemüht, in einem Punkt sind sich eigentlich alle einig: Zu viele Innovationsvorhaben scheitern – unabhängig davon, ob es sich um neue Produkte oder Dienstleistungen handelt.

Die Gründe hierfür sind vielfältig:

Keine Vision | Keine Strategie | Keine Kultur – zumindest keine, in der die Mitarbeiter eines Unternehmens (quer-)denken und Sachen ausprobieren können – in der sie auch mal Fehler machen und aus ihnen lernen dürfen – in der ihnen eine Plattform geboten wird, Ideen zu artikulieren und diese bewerten zu lassen. In solchen geistigen Schrebergärten hat sich jeder darum zu kümmern, dass sein eigener Vorgarten auch immer „schön hübsch“ aussieht und alles funktioniert – von fernen Ufern träumt hier niemand. Warum? Weil man nicht weiß, was einen da erwartet. Man hört „neu“ und sofort bimmelt so ein kleines, aber unangenehm lautes Glöckchen im Kopf. Die inneren Frühwarnsysteme schreien: „Riiiiisikoooo!“, und rufen zur sofortigen Barrierenbildung auf. Und während man –mit sich selbst eigentlich ganz zufrieden– den Damm und damit die Grenzen seines Denkens immer höher baut, zieht eine Innovationschance nach der anderen an einem vorbei.

Das zu ändern, liegt in der Verantwortung des Top- und Middle-Managements. Hier –auf der normativen und strategischen Ebene– müssen die Führungskräfte dafür Sorge tragen, dass es eine allen Mitarbeitern bekannte Vision gibt, ein Leitbild, an dem sich jeder im Unternehmen orientieren kann. Sie müssen eine verständliche Innovationsstrategie entwickeln, konkrete Maßnahmen daraus ableiten, ein bestimmtes Zukunftsbewusstsein unter den Mitarbeitern etablieren und den Aufbau innovationsfördernder Rahmenbedingungen vorantreiben. Da aber das Management von Innovationen immer noch an zu wenigen Universitäten & Business Schools Teil des Curriculums ist, verlassen sich zu viele Manager auf das, was einem damals eben sonst so beigebracht wurde: SWOT-Analysen, ein bisschen Netzplan-Technik, die 4 oder 7Ps des Marketings und natürlich die uns allen bekannte Balanced Scorecard. Frei nach dem Motto: Wenn ich mich strikt an das halte, was ich an der Uni gelernt habe, dann wird das alles schon irgendwie laufen. Und warum auch nicht? Schließlich waren meine Professoren unglaublich klug und das, was sie mir beigebracht haben, klang auch irgendwie ganz logisch … damals im Hörsaal.

Ich will auch gar nichts gegen diese Techniken sagen. Die meisten von diesen machen –so sie denn richtig ein- und umgesetzt werden– Sinn. Aber: Viele Tools der Managementlehre zielen darauf ab, Prozesse zu optimieren, Fehler zu vermeiden, die Qualität zu erhöhen und gleichzeitig entstehende Kosten zu minimieren. Das ist prima, will man den Produktionsprozess von Gütern gestalten. Wenn man aber neue Ideen braucht (bzw. produzieren muss) –Ideen, wie sich das Unternehmen in Zukunft aufstellen sollte, um erfolgreich zu sein– dann sind diese Grundsätze oft so viel wert wie … mir fällt nichts ein … also, sie sind nicht viel wert. Im Gegenteil! Am Anfang eines Innovationsprojektes steht eher die Quantität der generierten Impulse im Mittelpunkt. Und Fehler zu ahnden, sie unter allen Umständen vermeiden zu wollen, wirkt tatsächlich eher kontraproduktiv. Das soll nicht heißen, dass man seine Mitarbeiter animieren sollte, den ganzen lieben langen Tag falsch zu denken und Fehlleistungen zu erbringen, aber Fehler gehören zu einer Innovation wie Pech zu Schwefel, wie der Tag zur Nacht, wie … na ja, wie Sachen, die eben zusammen gehören.

Fehler sind auf den zweiten Blick oft nichts anderes als glückliche Zufälle und der Beginn einer kaum zu glaubenden Erfolgsgeschichte. Als Spencer Silver, ein früherer Mitarbeiter von 3M, damals einen unfassbar schlecht haftenden Klebstoff erfand, der fast spurlos abzulösen war -er also im eigentlichen Sinne scheiterte- dachte wohl keiner, dass Silver genau damit die Grundlage für eine bahnbrechende Innovation gelegt hatte – das Post-it. Und auch die Macher von Viagra hatten eigentlich zum Ziel, Herzprobleme zu behandeln und nicht die Stimmung im Schlafzimmer zu verbessern.

Es geht nicht darum, keine Fehler zu machen, sondern sie früh zu begehen; wenn es noch nicht so teuer ist. Ich versteh, dass man in Zeiten unruhiger Märkte und politischen Wirrwarrs jedes Risiko vermeiden will, aber in der Entwicklung neuer Ideen und Impulse gehört das nun mal dazu. Das Problem sind eigentlich auch weniger die Fehler als vielmehr unsere Einstellung zu ihnen – und wenn ich uns sage, meine ich uns Erwachsene. Bei Kindern ist das anders: Wenn die etwas falsch machen, probieren sie halt etwas anderes – oder etwas anders. Ich hab noch von keinem Kind gehört, das bei seinen ersten Gehversuchen auf dem Hosenboden gelandet ist und für sich dann entschieden hat, einfach dort sitzen zu bleiben und mit der Zeit festzuwachsen – anstatt es nochmal zu probieren (und nochmal …), um dann doch irgendwann laufen zu lernen. Picasso sagte einmal, dass alle Kinder Künstler seien, und die größte Herausforderung darin bestünde, ein eben solcher zu bleiben. Genau hier liegt eine zentrale Herausforderung des Managements: Um die vielen unerkannten Künstler in einem Unternehmen zu entdecken, zu fördern und von ihrem Talent zu profitieren, müssen Unternehmen eine positive Risiko- und Experimentierkultur entwickeln. Mike Latardis –einer der 3 Gründer des Gigaunternehmens Research in Motion (RIM)– weiß um die Unvermeidlichkeit von Falsch- und Blindleistungen im Innovationsprozess und so etablierte er die sog. „9 von 10“-Regel, nach der Scheitern ausdrücklich erlaubt ist, weil im Durchschnitt 9 Fehler durch entsprechende Variationsmaßnahmen, durch Adaption oder radikales Umdenken zu der einen Idee führen, die sich am Markt erfolgreich kommerzialisieren lässt.

Wir alle machen Fehler. Wichtig ist, dass man aus ihnen lernt und sich beim nächsten Mal besser anstellt. Thomas Edison hat einmal gesagt: Ich kenne 5.000 Wege wie man eine Glühbirne nicht herstellt! Diese 5.000 Wege hätte er nie gefunden –und wohl auch nicht den einen hin zu einer erfolgreichen Umsetzung– wenn er sich dem Diktat der Risikovermeidung unterworfen hätte. Es mag sein, dass uns hier in Deutschland ein bisschen diese Kultur des Experimentierens und positiven Scheiterns abgeht, dass unser Schwerpunkt intuitiv eher auf Sicherheit und Kontrolle liegt, aber das heißt nicht, dass man so etwas nicht auch ändern kann. Leicht ist es nicht -bestimmt nicht- aber es ist möglich!

Auf bald

Jan Kristof Arndt

Jan Kristof Arndt
Autor: Jan Kristof Arndt

Innovationsberater und Autor „Von Regelbrüchen … oder der Kunst, merkwürdig zu sein“