Ethik in Zeiten des digitalen Wandels

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Jan Kristof Arndt 01 April 2019 – Lesedauer: 11.30

Wir befinden uns am Anfang der digitalen Revolution. Geprägt ist diese durch das Eingreifen von Informationsmaschinen auf fast all unsere Lebensbereiche. Die Grundlage hierfür sind komplexe Berechnungen. Noch sind diese Einflüsse für uns überschaubar. Zumindest meinen wir das.


Die zunehmende Algorithmisierung des Lebens bietet uns – vor allem den werbetreibenden Unternehmen – viele Vorteile. So lernt man u.a. seine Kunden und deren Bedürfnisse besser zu verstehen – manch einer würde sagen: besser zu manipulieren. Und genau das bringt uns zu einer Frage, die es im Zuge des digitalen Wandels zu beantworten gilt: Darf man alles machen, nur weil man es kann?

Wir alle sind Teil der Attention Economy – ob als Kunden oder Unternehmen. Geprägt ist diese durch eine permanente Reizüberflutung, multidimensionale Leistungsangebote und einen zunehmend aggressiven Wettbewerb zwischen den Teilnehmern. Will man als Anbieter aus der Masse oft ähnlicher Konkurrenten hervorstechen, muss man anders sein – muss man auffallen, denn nur so kann man sich die Aufmerksamkeit seiner Zielkunden sichern. Und genau das entscheidet über Erfolg und Misserfolg.

Wer am Markt gehört werden will, braucht eine Wow-Strategie – einen Ansatz, wie er Menschen überraschen und von sich begeistern kann. Dafür erforderlich ist, dass man sowohl seine Botschaften als auch die gewählten Kommunikationskanäle auf die jeweiligen Endgeräte, Stimmungen, Situationen und Orte – sprich: auf die unterschiedlichen Kontexte abstimmt, die das Leben von Kunden und Nutzern bestimmen. Es gilt, die eigene Marke erlebbar zu machen und den Kunden emotional an sich zu binden. Transmediales Storytelling ist ein wichtiges Stichwort in diesem Zusammenhang.

Leider vergessen manche Anbieter im Wettstreit um Beachtung die Regeln des guten Anstands und bewegen sich außerhalb dessen, was sich gehört. Beispiele hierfür gibt es viele – oft zu lesen in den sozialen Medien.

Diese haben unser Leben verändert – und das so stark wie kaum etwas zuvor: Sie erlauben uns, Eindrücke zu teilen, auf Beobachtetes zu reagieren, Ideen auszutauschen und neue Menschen kennen zu lernen. Sie helfen uns Sprachen zu lernen, Wissenslücken zu füllen und Werbebotschaften zu verbreiten. Wir können Dinge kaufen und verkaufen. Alles per Mausklick. Versteht sich.

Das klingt erstmal gut, oder? Trotzdem gehen mit ihnen auch Nachteile einher. Um das zu verdeutlichen, gilt es, neben der gewerblichen auch die private Nutzung der sozialen Medien zu beleuchten – denn hier tun sich zum Teil wahre Abgründe auf. Die Möglichkeit, auf einfache Art – ja sogar anonym – Meinungen verbreiten zu können, verleitet viele Menschen dazu, sich entgegen der sozialen Normen zu verhalten. Wer sich in die Kommentare von Artikeln v.a. zu Flüchtlingsthemen, den politischen Umwälzungen in der Türkei, dem Brexit oder auch nur in die Spieltags-Zusammenfassung der Bundesliga einliest, darf zu Recht fragen, wie die Menschheit bis heute überleben konnte. Über Jahrhunderte entwickelte und kultivierte Werte spielen hier keine Rolle mehr. Digitales Mobbing und Public Shaming scheinen als mögliche Formen des Zeitvertreibs von vielen Usern akzeptiert zu werden. Um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit einem bestimmten Thema geht es dabei nicht – zumindest nicht vordergründig.

Worum aber dann? Mit dieser Frage setzt sich das im Jahr 2013 gegründete Institut für Digitale Ethik auseinander, dessen Auftrag darin besteht, Interessierten zu erklären, wie man sich im Dschungel der digitalen Welt ethisch nicht verläuft und seiner Verantwortung als Mensch gerecht wird – und auch als Unternehmen, stellt doch auch die Verwendung erhobener Daten eine wesentliche Säule dieses Themas dar.

Um der zunehmenden medialen Verrohung begegnen zu können, wurden unterschiedliche Kodizes formuliert, die vor allem Privatpersonen helfen sollen, sich und ihre Interessen zu schützen und sich natürlich auch richtig zu verhalten. Wie aber könnte ein solcher Verhaltenskatalog für Unternehmen aussehen? Hier ein Versuch. Dabei handelt es sich um eine vorsichtige Annäherung an ein sehr komplexes Thema – eine Diskussionsgrundlage, wenn man so möchte:

10 Regeln eines ethisch verantwortlichen Handelns im digitalen Raum:

  • Respektieren Sie die Würde anderer – sowohl Ihrer Kunden als auch Ihrer Mitarbeiter und Konkurrenten.
  • Sammeln Sie nur die Daten, die für Ihr Kerngeschäft wesentlich sind und eine optimale Nutzung Ihres Leistungsangebots ermöglichen.
  • Geben Sie keine Daten an unbefugte Dritte weiter.
  • Verbreiten Sie keine Falschinformationen / Fake News.
  • Treten Sie für Ihre Werte ein – und anderen entgegen, die diese verletzen.
  • Machen Sie den Erfolg Ihrer Kampagnen nicht ausschließlich von der Anzahl an Likes und Kommentaren abhängig.
  • Berücksichtigen Sie bei der inhaltlichen Ausgestaltung von Kampagnen die Regeln des guten Geschmacks und schützen Sie Ihre Kunden vor drastischen Inhalten.
  • Seien Sie fair – sowohl in der Bezahlung Ihrer Lieferpartner als auch in der Gestaltung Ihrer Preise.
  • Berücksichtigen Sie ökologische Aspekte im Herstellungsprozess Ihrer Leistungen.
  • Werden Sie Ihrer sozialen Verantwortung als Mitglieder unserer Gesellschaft gerecht.

Leider funktionieren die sozialen Medien nach der Formel: Wer laut schreit, bekommt viel Aufmerksamkeit – und oft auch jede Menge Zuspruch. Nur sollte man sich fragen: von wem. Es ist an jedem von uns, diese Formel aus Provokation und Quote zu durchbrechen, indem wir unser mediales Verhalten hinterfragen und uns an den ethischen Grundsätzen des Zusammenlebens orientieren.

Der digitale Kosmos ist durch viele Player geprägt – zu den dominantesten gehören ohne Zweifel die werbetreibenden Unternehmen. Diese wissen die unterschiedlichen Kanäle meist wirkungsvoll zu bespielen – egal ob Instagram, WhatsApp oder Facebook. Ich betone: meist. Nicht immer. Denn natürlich stecken hinter jeder online geschalteten Kampagne Menschen. Und wie heißt es so schön: Es irrt der Mensch so lang er strebt. Wer seine Kunden belügt – wer mit ethisch schwierigen Themen spielt, um auch am Rande der Gesellschaft noch ein paar Daumen „einzusammeln“, ist leider nicht besser als irgendwelche Cyber-Mobber. Die meisten Artikel zum Umgang mit den sozialen Medien zielen darauf ab, wie man mehr Menschen erreicht. Und tatsächlich scheint Reichweite der wesentliche Maßstab in der Beurteilung digitaler Netzwerke zu sein. Ob man aber auch die richtigen Menschen erreicht – nun, das hängt wahrscheinlich davon ab, ob man jeden zahlenden Kunden als richtig begreift oder nicht. Zum Glück zeigen unsere Trend-Beobachtungen, dass das Thema einer werteorientierten Unternehmensführung immer stärker an Bedeutung gewinnt. Entschuldigen Sie den nächsten Satz – die Sprachkonstruktion ist wirklich grausam. Aber: The business of business ist eben nicht immer einfach nur business, so wie es Milton Friedman damals meinte ausdrücken zu müssen. Der Nobelpreisgewinner und Fackelträger des Monetarismus war der Auffassung, dass die Aufgabe von Unternehmen darin bestünde, ihre Gewinne zu erhöhen – und nur die Gewinne. Er sagte offen, dass die Befürworter eines sozial-orientierten unternehmerischen Engagements die „ahnungslosen Marionetten einer intellektuellen Bewegung seien, welche seit Jahrzehnten die Unterminierung der Grundfeste einer freien Gesellschaft betreibe“. Aha!

Nun gibt es zum Glück auch Menschen, die anderer Auffassung sind und deren Argumente ich eingängiger finde. Wer das als Wertung versteht, versteht mich! Nehmen wir Michael Porter. Der gerne als Papst unter den Management-Vordenker bezeichnete Nationalökonom aus den USA vertritt die Auffassung, dass jedes Unternehmen, welches seine Ziele auf Kosten der Gesellschaft verfolgt, schnell herausfinden wird, wie vergänglich Erfolg sein kann. Getragen werden Porters Ansichten durch den sich seit einigen Jahren vollziehenden Paradigmenwechsel von einem primär preis- und funktionsgetriebenen zu einem darüber hinaus auch wertebasierten Käuferverhalten. Konsumenten präferieren heute „soziale“ Produkte – so denn die erwarteten Leistungseigenschaften gewährleistet sind. Und das sind sie – zumindest häufig. Das erklärt auch die in Studien nachgewiesene Korrelation zwischen der Wahrnehmung sozialer Verantwortung und dem Bilanzergebnis von Unternehmen. Wer Gutes tut, ist besser dran. Und das zeigt sich eben auch im Auftritt eines Unternehmens in den sozialen Medien. Wer seine Konkurrenten mobbt (nicht neckt, das wäre okay), wer das kritische Feedback seiner Kunden leichtfertig abtut und sich als unfehlbar geriert, wird irgendwann die Konsequenzen zu spüren bekommen.

Zum Abschluss noch eine persönliche Bemerkung:

Die sozialen Medien helfen, uns zu vernetzen – zu recherchieren – zu lernen. Aber sie verdeutlichen eben auch die totale Enthemmung einiger weniger. Und ja, noch sind es eher wenige Menschen, die ohne jede innere Schranke im Netz agieren; auch wenn das manchmal nicht so erscheinen mag. Die meisten von uns wissen um die Wirkung von Worten. Und sind lieber still. Nur ist das Prinzip der vornehmen Zurückhaltung sehr gefährlich. Man kann nämlich auch die falschen Menschen an die Macht schweigen. Wer nichts tut, macht sich schuldig. Zur digitalen Ethik gehört eben auch, dass man das Feld der medialen Meinungsbildung nicht allein denen überlässt, die andere Menschen diskriminieren und deren Würde jeden Tag aufs Neue antasten. Und hier kann jeder einen Beitrag leisten. Auch die Unternehmen. Die digitale Gesellschaft funktioniert nach eigenen Regeln – die eines ethisch-korrekten Umgangs sollte die Grundlage bilden.

Ich glaube an uns – als Gemeinschaft. Immer wieder haben wir bewiesen, dass wir Irrungen und Verfehlungen als eben solche entlarven konnten – dass es möglich war, aus den Schatten der Vergangenheit herauszutreten und unsere Zukunft bewusst zu gestalten. Damit das wieder gelingt, brauchen wir eine breite gesellschaftliche Diskussion, eine Anpassung der doch oft noch verstaubt wirkenden Lehrpläne an unseren Schulen und vielleicht auch eine Neuregelung bzw. konsequentere Auslegung unserer Gesetze.

Manche mögen mit den Augen rollen und andere innerlich schon den nächsten Hass-Post formulieren, wenn ich zum Abschluss Angela Merkel zitiere, aber ich glaube, „Wir schaffen das!“ Wenn wir wollen. Und wenn nicht ... aber nein, wer würde sich das vorstellen wollen?

Bis bald

Jan Kristof Arndt

Jan Kristof Arndt
Autor: Jan Kristof Arndt

Innovationsberater und Autor „Von Regelbrüchen … oder der Kunst, merkwürdig zu sein“

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