The Game_Das Leben wird zum Spiel [Teil 1]

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Jan Kristof Arndt 26 März 2019

Jeder Mensch ist ein Spieler. Nicht im anrüchigen Sinne – Und nicht in jeder Situation. Aber das Bedürfnis zu spielen, ist so alt wie der Mensch selbst. Studien belegen, dass das Gehirn Dopamin, also Glückshormone, ausschüttet, wenn wir spielen – und seien wir ehrlich: Es gibt Schlimmeres. Zum Beispiel Nachmittagsfernsehen. Oder Schwarzsauer. Volksmusik finde ich auch nicht so toll oder … Aber zurück zum Thema: Menschen spielen also gerne: der eine mit Karten, der andere an der Konsole und manch einer mit dem Feuer.

Das Spiel des Lebens. Wer kennt es nicht?! Mit dem Abitur in der Tasche besteht das Ziel für jeden der Spieler darin, in den Jahren bis zum Erreichen des Rentenalters möglichst viel aus sich zu machen: das heißt Unmengen an Geld zu verdienen, irgendwann einmal Bundeskanzler zu werden und wenn’s geht auch noch einen internationalen Bestseller zu schreiben. Was man eben so macht zwischen 18 und 67. Wem das am besten gelingt, gewinnt. Klar. Die Urversion dieses Brettspiels gibt es seit 1861 und damit deutlich länger als beispielsweise Monopoly oder Risiko. Aber: Spielen ist weit mehr als ein Spiel – es begründet eine ganze Industrie.

Die Grenzen dieser Industrie, die Inhalte und Ziele haben sich in den letzten Jahren verändert. Oder vielmehr erweitert – und das deutlich. Früher ausschließlich analog, ist der Anteil digitaler Angebote am gesamten Spielmarkt stark gestiegen: auf über 45 Mrd. Euro! Den Löwenanteil machen (noch) die Konsolenspiele aus: Das Game Call of Duty MW3 hat allein in den ersten 14 Tagen nach seinem Erscheinen fast 1 Milliarde US-Dollar eingespielt – und damit mehr als Blockbuster-Filme wie Avatar, das große Finale der Harry Potter-Reihe und jeder einzelne Teil der Star Wars-Saga oder des Herrn der Ringe. Das ist beeindruckend. Irgendwie befremdlich. Aber beeindruckend.

Und trotzdem gewinnt gerade ein ganz anderer Spieltypus ungemein an Popularität und damit an Markt: Real-Life-Action-Games, wobei Action in diesem Zusammenhang als Handlung oder Handeln übersetzt werden darf. #Gamification heißt der dahinter stehende Trend. Alltagshandlungen werden zum Spiel. Dabei sind die Teilnehmer angehalten, jeden Tag neue Vokabeln zu lernen oder mehr Kaffee zu trinken, regelmäßig zu duschen, ihren Müll zu trennen und zumindest einmal die Woche Salat zu essen. Sie sollen sich Videos anschauen und bewerten, Artikel lesen und diese „sharen“, an Ratespielen teilnehmen, Fragen beantworten und Kommentare schreiben. Dafür erhalten sie eine Belohnung, z.B. virtuelle Points, Badges oder Ämter. Je mehr man davon hat, desto höher steigt man auf in der virtuellen Hierarchie. Tatsächlich gibt es aber auch solche Spiele, die einen realen Gewinn ausweisen. So kann es sein, dass man weniger für seine Krankenversicherung bezahlen muss, wenn man sich nur häufig genug bewegt (z.B. zur Arbeit läuft). Oder man bekommt einen Rabattgutschein für den nächsten Rossmann-Einkauf. Oder … Was weiß ich.

So unterschiedlich die Spielphilosophien, so unterschiedlich sind auch deren Anhänger. Allen gemeinsam ist die Suche (in vielen Fällen die Sucht) nach dem nächsten Level, der nächsten Herausforderung. Man steht in einem Wettstreit. Mit sich. Mit anderen. Und doch gibt es ein paar signifikante Unterschiede: Die einen definieren sich über die Taten ihrer Helden. Die anderen werden selbst zum Held. Ja klar, das klingt pathetisch, aber irgendwie stimmt es doch: Während die Daddelkönige im Konsolensport ihre Alter Egos in den Krieg, auf Rennstrecken oder den Bolzplatz schicken, gehen die Gamer von Nexercise, GreenGoose & Chromaroma selbst vor die Tür und erleben was.

Über die Anwendung spieltypischer Instrumente und Mechanismen (wie z.B. Punkte, Level, Geschenke und Ranglisten) versuchen die Betreiber einen Prozess zu initiieren, der zum Mitmachen animiert und mit steigender Teilnehmerzahl an Dynamik gewinnt. Die Interaktion und der Wettbewerb mit anderen Menschen sind hierbei wesentliche Triebkräfte. Kennt man ja: Wer hat schon Lust, jeden Tag mit denselben drei Gesichtern am Tisch zu sitzen und Mau-Mau zu spielen? Im Idealfall entsteht so etwas wie positive, sich beflügelnde Konkurrenz unter den Teilnehmern: Wer am meisten kauft, oder lernt, oder erzählt … Wer also am ehesten so handelt, wie der Betreiber sich das wünscht, der gewinnt und wird ausgezeichnet. Das Belohnungszentrum feiert eine Party und gibt mir zu verstehen, dass ich ruhig ein bisschen stolz auf mich sein darf. Schließlich hab ich nicht einfach nur zehn neue Vokabeln gelernt, nein, ich hab auch meinen inneren Schweinehund das Fürchten gelehrt. Außerdem klopft einem einer auf die Schulter. Man weiß zwar nicht genau wer, aber es fühlt sich gut an.

Überhaupt ist die Sehnsucht nach Anerkennung, nach einem Sinn, eine treibende Kraft. Alltägliche Handlungen werden quantifiziert und erhalten so einen konkreten Wert. „Torben hat sich heute Morgen zwei Minuten lang die Zähne geputzt. Das finden wir super und verleihen ihm ein (weiteres) silbernes Biberzähnchen“. Eigentlich ist die Info allen von uns Wurscht, die den Tag über nichts mit Torben zu tun haben, aber irgendwie finden auch wir es ganz okay, dass er seine Mundhygiene nicht vernachlässigt, und deshalb geht unser Daumen hoch. We like!

Gamification macht bereits den Kauf zum ERLEBNIS; nicht nur die Nutzung. Ja, tatsächlich tritt die eigentliche Leistung von Anbietern, also das, was man gekauft hat, in den Hintergrund. Für den User sind die gewonnen Punkte, Auszeichnungen, Sonderberechtigungen oft wichtiger. So sieht man auch schon mal großzügig über einen eher unterdurchschnittlichen Service an Bord eines Flugzeugs oder Fehler in der Abwicklung des Check-Ins am Schalter hinweg. Hauptsache man bekommt Meilen gutgeschrieben, kann vor dem Abflug noch schnell einen Kaffee in der Business Lounge trinken und beim Eintritt seinen goldene Vielfliegerausweis vorzeigen – möglichst so, dass auch der Letzte es mitbekommt. Der intrinsische Motivationswert solcher Aktionen ist hoch – und die Viralwirkung ebenfalls.

Gamification ist eine Strategie, kein Selbstzweck. Im Wesentlichen will man User an die eigene Marke binden und durch ständige Konfrontation Gewohnheiten aufbauen. Man will aus gelegentlichen Nutzern loyale Kunden machen. Man will Mitarbeiter motivieren und Community-Mitglieder als Werbeträger einspannen. Das Ziel ist nicht neu – Aber der Weg dahin! Zum nächsten Teil:

Bis bald

Jan Kristof Arndt

Jan Kristof Arndt
Autor: Jan Kristof Arndt

Innovationsberater und Autor „Von Regelbrüchen … oder der Kunst, merkwürdig zu sein“