The Game_Das Leben wird zum Spiel [Teil 2]

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Jan Kristof Arndt 26 März 2019

Ein landläufiges Vorurteil besagt: Computerspiele machen dick. Und blöd. Und diese dicken und blöden Spieler werden unausweichlich faul, aggressiv und vereinsamen. Richtige Monster werden da gezüchtet. Vertreter der Game Industry hingegen sagen, dass viele Spiele Teamarbeit fördern, Fairness fordern, Spaß machen und Menschen zusammenführen. Wenn auch eher online. Das gilt vor allem für Real-Life-Action-Games, die von ihren Spielern verlangen, aktiv zu werden und bestimmte Aufgaben zu erfüllen. Und das ohne Gamepad.

Beispiel gefällig?

Eine der einfachsten Alltagshandlungen ist laufen. Nicht rennen. Laufen. Im Sinne von gehen! So man gesund ist und noch dazu in der Lage, laufen wir seit unserem ersten oder zweiten Lebensjahr. Foursquare hat sich genau das zunutze gemacht und belohnt seine User, wenn sie erzählen, wohin sie gerade laufen, wo sie sind. In diesem Spiel weiß jeder zu jeder Zeit wo jeder ist und was er macht. Und wer sich besonders engagiert und sein (virtuelles) Umfeld über wirklich jede seiner Schritte informiert, der wird belohnt und hat die Möglichkeit sozial aufzusteigen (natürlich auch nur virtuell). Da wird mit Orden und Ämtern regelrecht um sich geschmissen. Wenn man so will, stellt Foursquare für viele die einzige Möglichkeit dar, in ihrem Leben jemals „Mayor“ oder Bürgermeister zu werden. Wenn das mal nichts ist. Im Wesentlichen zielen solche „Spiele“ auf das vielen innewohnende Verlangen nach Selbstbeweihräucherung ab – frei nach dem Motto: Seht her – Ich bin wichtig. Ich kenn die Welt, ich kenn die Menschen, Ich war schon überall. Statusmeldungen dienen als Nachweis, dass man das Leben lebt. Und das nicht schlecht. Ich warte auf den Tag, an dem jemand solch ein „Achievement“ unter besondere Leistungen und Anerkennungen im Lebenslauf notiert – und tatsächlich glaubt, dadurch bessere Chancen am Arbeitsmarkt zu haben.

Aber Statusinformationen über den aktuellen Standort sind ja schon fast ein alter Hut (oder wie ich zuletzt in einem Vortrag hörte: „… so was von 2.0“ (was als offene Beleidigung verstanden werden sollte); schließlich gibt es das schon … ich weiß gar nicht … zwei, drei Jahre vielleicht und damit eine halbe Ewigkeit.

Heute schwitzt man. Baut man. Engagiert sich sozial und rettet die Welt. Man bastelt, kämpft gegen Schurken und lernt, wie man richtig recycelt (The Fun Theory – Eine Initiative von VW). Die Einsatzmöglichkeiten solcher „Games“ erscheinen unerschöpflich. Die Haupteinsatzfelder sind:

  • Gesundheitsspiele, die auf eine Verbesserung der physischen und psychischen Konstitution abzielen und zu bewusster Ernährung, zum Genussmittelverzicht und zu mehr Bewegung auffordern
  • Lernspiele, die den Aufbau von Kompetenzen fördern und Wissen vermitteln sowie
  • Öffentlich-Relevanz-orientierte Spiele, die zum Beispiel über den Klimawandel oder Reformanstrengungen informieren [Quelle: Bunchball – An Introduction to the Use of Game Dynamics to Influence Behavior].

Neuere Spiele wie z.B. Keas unterstützen die Mitarbeiter von Unternehmen in dem Bestreben gesünder zu leben – Corporate Wellness heißt die dahinterstehende Idee. Zufriedene Mitarbeiter sind das Ziel. Und was das bedeuten kann, wissen wir spätestens seit der Gallup Study of Loyalty.

Ein anderes Game – Nitro for Salesforce – zielt auf die Motivation von Vertriebsmitarbeitern ab und soll diese zu Höchstleistungen anspornen. Aus Vergleichsrankings geht hervor, welcher Mitarbeiter am meisten verkauft hat. Das Konzept ist bekannt, aber die Aufmachung ist neu.

In „Zombies, Run!“ wird der Anwender von Untoten verfolgt – Er hat nur eine Möglichkeit: (Weg)Laufen. Von seinen Anstrengungen hängt nicht nur sein Leben, sondern auch das vieler anderer ab. Wer sich bemüht, gewinnt – Und nimmt ab!

Realität wird neu konzipiert. Erweitert. Ich muss mich nicht länger entscheiden, ob ich virtuell oder real leben will. Gamification erlaubt beides. Spiele können sogar dafür sorgen, dass ich mein Leben bewusster lebe. Möglich gemacht hat das mein Handy – nicht im Sinne eines Telefons, sondern als Hochleistungsrechner im Miniformat. Die Welt ist online. So ist das nun mal.

Kritiker sagen: Letztlich dreht sich alles nur ums Geld. Vorwürfe der versteckten Manipulation und Fremdbestimmung kommen auf. Durch die freiwillige Angabe von persönlichen Informationen können Menschen noch gezielter beworben, noch konkreter beeinflusst und zu einer bestimmten Handlung (z.B. zum Kauf einer Leistung oder zur Weitergabe von Werbeinhalten) veranlasst werden . Und ganz von der Hand zu weisen, ist das sicher nicht. Ich glaub, wenn man wollte, würde man sogar Kinder dazu bringen können, ihren Teller aufzuessen. Und wenn ich Teller sage, mein ich auch Teller. Genau hier liegt die Crux: Wer entscheidet über den Inhalt, über das, was erreicht werden soll? Wie steht’s mit der Verbreitung politischer Inhalte? Oder religiöser?

Ein weiteres mögliches Problem besteht in der Zunahme intergenerativer Unterschiede durch Zugangsbeschränkungen und ein sehr unterschiedliches Nutzungsverhalten sozialer Medien. Früher haben Alt und Jung nur auf unterschiedlichen Frequenzen gefunkt, heute lebt man auf verschiedenen Planeten. Die Richtung, aus der Informationen fließen, hat sich umgekehrt. Wer wissen will, wie das Leben funktioniert, muss die Jungen fragen.

Gamification ist ein Trend – egal wie man zu ihm stehen mag. Ob es ihn in hundert Jahren noch geben wird? Vielleicht nicht. Wer weiß?! Aber in drei Wochen vorbei sein, wird er auch nicht. Metaphorisch gesprochen, rollt der Zug. Und es ist an Ihnen zu entscheiden, ob Sie aufspringen oder nicht. Sofern Sie das wollen, bedenken Sie: Wenn die zu überwindenden Sozialstrukturen und Verhaltensmuster zu hoch sind, ist die Aussicht auf kommerziellen Erfolg gering. Das Leben ist kompliziert genug. Spiele sollten es nicht noch schwerer machen.

Eigentlich bin ich niemand, der jeden seiner Gedanken durch irgendein Zitat irgendeines Vor-Denkers absichern muss, aber in diesem Fall mach ich eine Ausnahme und bemühe einen Ausspruch des französischen Meeresforschers Jacques-Yves Cousteau: „Spielen ist eine Tätigkeit, die man gar nicht ernst genug nehmen kann!“

Bis bald

Jan Kristof Arndt

Jan Kristof Arndt
Autor: Jan Kristof Arndt

Innovationsberater und Autor „Von Regelbrüchen … oder der Kunst, merkwürdig zu sein“