Made in China – Vom Warnhinweis zum Qualitätssiegel

Image placeholder
Jan Kristof Arndt 26 März 2019

Wir alle sind Zeitzeugen einer tiefgreifenden, unser Leben nachhaltig verändernden Revolution. Auch wenn sich viele dieser Tatsache gar nicht so richtig bewusst zu sein scheinen. Aber: Die Architektur unserer Welt schwankt – und das gewaltig. China ist aus seinem Jahrhunderte währenden Schlaf erwacht, Indien entwickelt sich zur Technologiehochburg und die einstige Dominanz der Vereinigten Staaten scheint gebrochen. In diesem neuen System kommt es nicht darauf an, was auf der Verpackung steht, sondern, was drin ist. „Made in Europe“ ist nicht länger ein Verkaufsgarant und „Made in China“ nicht automatisch ein Warnhinweis für mangelnde Qualität. Ganz im Gegenteil.

China ist ein Land der Gegensätze: wo Chancen sind, gibt es Risiken – wo Licht ist, ist auch Schatten. Wie eigentlich überall. Aber Tatsache ist, dass sich das Verhältnis von Vor- und Nachteilen sukzessive zu verschieben scheint – und zwar zum Besseren; insbesondere wenn man sich auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes konzentriert. Seit dem Beitritt Chinas in die Welthandelsorganisation in 2001 haben sich die ökonomischen Eckdaten deutlich verändert: China hat sich geöffnet und konnte so zu einem der Big Player im Konzert des globalen Waren- und Leistungsaustausches werden. Einst auf die Rolle als Werkbank unserer Welt reduziert, haben sich chinesische Unternehmen zur ernstzunehmenden Konkurrenz entwickelt: China kann nicht mehr nur „billiger“, sondern (in vielen Fällen) auch „besser“, „schneller“ und sogar „grüner“.

Die Stadt Shenzhen beispielsweise setzt im öffentlichen Nahverkehr auf eine Armada aus Elektrobussen. Suntech Power zählt –als größter Hersteller von Solarpanelen- zu den innovativsten Unternehmen der Welt. Und in Tianjin entsteht in Kooperation mit der malaiischen Regierung eine Öko-Stadt, für die Anbieter umweltschonender Technologien Lösungen für ein möglichst öko-effizientes Leben entwickeln sollen. Es wird erwartet, dass in spätestes 10 Jahren bis zu 350.000 Menschen hier leben und die neuen Techniken testen werden. Die wirkungsvollsten sollen dann im Kampf gegen die z.T. verheerenden Umweltzustände in und rund um die zahlreichen chinesischen Megacities eingesetzt werden.

Die Nachfrage nach chinesischen Marken und die Zahlungsbereitschaft ausländischer Abnehmer haben sich verändert. Und damit auch die Einkommensverhältnisse; zumindest in den Städten. Bis 2020 sollen chinesische Facharbeiter 75% dessen verdienen, was ihre amerikanischen Kollegen bekommen. Kein Wunder also, dass bis dahin (einer Schätzung von McKinsey zufolge) 176 Millionen Haushalte ein Jahreseinkommen von 16.000 US-$ haben werden. Heute sind es etwas über 20 Millionen – nur um mal eine Relation aufzuzeigen.

Mit den veränderten Einkommensverhältnissen geht auch ein anderes Reiseverhalten einher. Als ich letzte Woche von Helsinki wieder nach Hamburg geflogen bin, war ich regelrecht umzingelt von chinesischen Touristen. Das war so vor 10 Jahren noch nicht zu beobachten und verändert die Anforderungen v.a. im Bereich der Kommunikation. In Helsinki wurde eine Vielzahl der Durchsagen und Aufforderungen, sich (gefälligst) endlich (und verdammt nochmal) am Gate einzufinden, auf Englisch und Chinesisch wiederholt. In Kopenhagen ist die komplette Beschilderung entsprechend übersetzt und in Amsterdam wurde kürzlich eine Übersetzungs-App vorgestellt, die chinesische Reisende durch das Flughafenareal navigiert und eine Funktion anbietet, alle Schilder in Mandarin zu übersetzen.

Chinesen sind selbstbewusster geworden. Mit Recht. Anders als viele andere um eine rasante Entwicklung bemühte Länder, ist China auf dem Weg zurück zur Großmacht – es ist im Begriff, die Geschichte des Landes fortzuschreiben, in dem Papier und Schießpulver erfunden wurden, in dem Denker wie Konfuzius gelebt und gelehrt haben und das selbst Mao nicht auf ewig in die Knie zwingen konnte. Die Öffnung seiner Wirtschaftszonen, der Beitritt Chinas zur WHO und der neu entdeckte Anspruch auf Größe haben das Land zu einem der Global Player gemacht. Aber natürlich gilt: Nicht alles, was glänzt, ist tatsächlich auch aus Gold. Seine wahre Stärke wird China entfalten, wenn es gelingt, der im Land herrschenden Korruption Herr zu werden, wenn man verbindliche Maßstäbe zur Wahrung der Menschenrechte etabliert und wenn man zusätzlich seinen Bürgern … ach, im Umgang mit seinen Bürgern kann China –glaub ich– eine ganze Menge besser machen. Das auszuführen, würde den Rahmen eines solchen Beitrages übersteigen.

Bei seiner Einführung vor 125 Jahren galt die Kennzeichnung “Made in Germany” als Hinweis auf mindere Qualität. Und tatsächlich können die deutschen Produzenten der damaligen Zeit aus heutiger Sicht als Spätzünder in der wirtschaftlichen Entwicklung und der Produktion insb. von Metallwaren bezeichnet werden. Den Unterschied z.B. zu ihrer englischen Konkurrenz versuchten sie durch „billige“ Raubkopien wettzumachen. Kommt uns das Stück nicht bekannt vor – wenn auch in anderer Besetzung?! Tatsächlich konnten die Deutschen die damals bestehenden Qualitätsunterschiede binnen weniger Jahre nicht nur ausgleichen, sondern ganz neue Maßstäbe in der Verarbeitung und Herstellung von (Metall-)Waren setzen, so dass aus dem Warnhinweis ein Siegel bester Qualität wurde. Und auch das scheint sich zu wiederholen.

Go West –die Hymne der Pet Shop Boys– ist längst verhallt. Der Blick geht gen Osten – und oft nicht nur der Blick. Ein Bekannter von mir wird, wie zahllose andere Fachkräfte auch, in absehbarer Zeit als Expatriate nach Fernost gehen, um von dort aus den Standortaufbau seiner Firma voranzutreiben. Das ist eine logische und notwendige Maßnahme, will man im globalen Wettbewerb eine Rolle spielen. Denn eines ist sicher: Nur wenn wir uns den Herausforderungen dieser „neuen Welt“ stellen, haben wir auch eine Chance, weiterhin unser Stück vom Kuchen abzubekommen. Für diejenigen, die einfach nur die Augen zumachen und hoffen, dass es wieder so wird, wie es einmal war, bleiben oft nur die Krümel übrig. Und manchmal nicht mal mehr die.

Auf bald

Text: Jan Kristof Arndt | Autor der Buchs "Von Regelbrüchen ... oder der Kunst, merkwürdig zu sein"

+++

Foto: Nick Fewings auf Unsplash

Jan Kristof Arndt
Autor: Jan Kristof Arndt

Innovationsberater und Autor „Von Regelbrüchen … oder der Kunst, merkwürdig zu sein“