Nobody is perfect! Oder: Über die neue Ehrlichkeit in der Markenkommunikation

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Jan Kristof Arndt 26 März 2019

Menschen machen Fehler. Ausnahmen? Nee, die gibt es nicht. Auch wenn man von sich selber zu glauben scheint, dass man perfekt sei, wird man eher früher als später erkennen, dass man sich getäuscht hat. True Story …! Und das ist auch gut so! Nein, warten Sie, ein Ausrufezeichen reicht nicht. Hier ist noch eins: „!“ Allzu „perfekte“ Leute nerven. Punkt. Wie Zsa Zsa Gabor einmal sagte (und glauben Sie mir, ich hätte nie gedacht, dass ich irgendwann Zsa Zsa Gabor zitieren würde): „Menschen, an denen nichts auszusetzen ist, haben nur einen, allerdings entscheidenden Fehler: Sie sind uninteressant.“ Sie sind gefangen in ihrem Drang, gesellschaftliche Normvorstellungen ständig und immer übertreffen zu müssen – und das ist anstrengend – für sie selbst und ihr Umfeld.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Fehler machen niemanden zu einem besseren Menschen, aber sie machen jeden etwas menschlicher (Wobei mir bewusst ist, dass es Fehler und Fehler gibt, aber das soll nicht das Thema dieses Beitrags sein). „Es irrt der Mensch, solang er strebt.“ Aber: „Kein Mensch hat so schwerwiegende Fehler, dass sie nicht durch ein erstklassiges Begräbnis aus der Welt geschafft werden könnten.“ Zu böse? Nein, oder? (Das erste Zitat ist von Goethe, das zweite von Robert Lemke – nur der Vollständigkeit halber.)

Vorbei sind die Zeiten, in denen man im Vorstellungsgespräch nicht auch ein, zwei (wenn auch bitte eher kleinere) Macken zugeben durfte. Okay, wenn man angibt, faul zu sein und Körperhygiene für überschätzt zu halten, ist man raus. Zu Recht!!! Wenn man aber sagt, dass man nicht sonderlich gut kochen kann und deshalb alle Pizzalieferanten in der Umgebung beim Vornamen kennt, dann ist das charmant (zumindest ist es nicht komplett daneben) und belegt, was eh jeder weiß: Kein Mensch ist frei von Fehlern. Und weil das eben jeder weiß, begegnen wir Blendern auch so kritisch.

Und jetzt kommt’s: Das alles gilt auch für Produkte. Produkte werden von Menschen erdacht, sie werden von Menschen umgesetzt, sie werden von Menschen ausgeliefert und sie werden von Menschen verwendet. Mehr Mensch geht nicht.

Kein Konsument verlangt von seiner Zahnpasta, dass diese über das Erwartete hinaus auch noch die Schuldenkrise zu lösen vermag, Witze erzählen und die Lottozahlen voraussagen kann. Zahnpasta soll meine Zähne sauberer machen. Und weißer. Sie soll meinen Zahnschmelz stärken, die Ursachen von Zahnfleischproblemen bekämpfen und für frischen Atem sorgen. Von mir aus kann die Verpackung auch noch ansprechend gestaltet sein – tut ja schließlich nicht weh. Und wem von den Anbietern es sinnvoll erscheint, kann sich in seiner Werbung auch noch auf die emotionalen Vorteile regelmäßiger Mundpflege konzentrieren und anführen, dass Faulgerüche beim Küssen stören und gelbe Zähne von schönen Augen ablenken. Aber das war es dann auch. Mehr ist nicht nötig und weckt eher das Misstrauen der Kunden.

Regelmäßig wählen Verbraucher die größten Etikettenschwindler der Lebensmittelindustrie und verleihen diesen den „Goldenen Windbeutel“ – eine Art Anti-Preis, über den in den letzten Jahren mehr als 130.000 User im Netz abstimmten. Die eigentliche Aussage: „Ihr versprecht uns zwar das Blaue vom Himmel – Aber wir glauben Euch nicht.“ Und warum sollten wir auch? Wir leben in einer mehr oder weniger transparenten Welt. Jeder weiß um die Subjektivität klassischer Werbung und den in ihr gezeigten Traumwelten. Kaum einer fällt noch auf die Selbstdarstellungsversuche der Unternehmen herein, schließlich können wir uns unser eigenes Bild machen. Durch die vielen tausend Erfahrungsberichte anderer Kunden im Internet, öffentlich gemachte Testergebnisse und Bewertungen ist es möglich, noch vor der Anschaffung eines Produktes dessen tatsächlichen Nutzen zu überprüfen. Wir erfahren, ob es unsere Bedürfnisse zu befriedigen weiß und ob das Preis-Leistungsverhältnis unseren Vorstellungen entspricht.

Das Gute ist: Der Trend geht zu mehr Ehrlichkeit – auch in der Werbung.

Der Eisproduzent Ben & Jerry’s geht in seinen Spots immer sehr offen mit strategischen Fehlentscheidungen in der Vergangenheit um. Man weist auf die kleinen und großen Fauxpas im Herstellungsprozess hin und erwähnt sogar, dass Ben –einem der Gründer– im Verlaufe des Projekts die Haare ausgefallen sind. Not Fair. Gleichzeitig –und das ist viel entscheidender– bekennen sie sich zu CSR und betonen den einzigartigen Geschmack ihrer unterschiedlichen Eissorten. Das Produkt menschelt – und ist deshalb so sympathisch. Ein Eis, das lecker schmeckt, appetitlich aussieht, mir gleichzeitig beim Abnehmen hilft, mich am besten auch noch schlauer, hübscher und ich weiß nicht was noch alles macht, wäre doch kein Eis mehr. Sondern ein … ein … ein Wundermittel. Oder so was. Aber der Kunde will keine Wundermittel. An die glaubt er schon lange nicht mehr. Er will Eis. Ganz einfach. Und deshalb kann man als Anbieter ruhig ehrlich sein und sagen: Dieses Eis mag vielleicht nicht unbedingt dünner machen (und ganz bestimmt nicht klüger), aber es schmeckt. Du musst ja nicht gleich fünf Stück davon essen, aber wenn Du Dir eines gönnst, dann genieß es bitte auch. Und wenn Dein Bauch irgendwann so aussieht, als gehöre er einem anderen, dann empfehlen wir dir Almased … oder Sport. Oder noch besser: beides.

Auch Zalando zeigt in seinen Werbespots neben den kaufverrückten, hysterisch kreischenden Menschen häufig jemanden, der es gar nicht so großartig findet, dass man bei diesem Bestellservice alles bekommt, was das Herz begehrt – so ja die eigentliche Aussage. Sie kennen alle den Werbespot, in dem eine „leicht“ überreizte Frau fragt: „Hey, Ihr von Zalando! Was habt Ihr getan?“ Und sich dann über das eigentlich jeden Wunsch abdeckende Angebot beschwert, dem ihr Mann verfallen ist. Man kennt das ja. Wer hat nicht schon mal mit den Augen gerollt, wenn sich die Freundin das 27ste Paar Schuhe bestellt hat, schließlich hat sie ja erst drei so ähnlich aussehende … und das geht nun wirklich nicht. Aber: Die Werbung von Zalando ist lustig und schon allein deshalb wäre es schade, wenn es den Konzern irgendwann mal nicht mehr geben sollte. (Mal abgesehen davon, dass ja auch wir Männer nicht immer nur in denselben Paar Tretern rumlaufen sollten.)

Eine von Havas Media veröffentlichte Studie zum Thema „Meaningful brands“ ergab, dass eine beeindruckende Mehrheit an Käufern auf 70% der existierenden Brands verzichten könnte. IKEA, Google oder Apple gehören nicht dazu – und zwar, weil sie unser Wohlbefinden stärken, unser Leben leichter machen, uns unterhalten und … eben auch ein bisschen menscheln.

Da Kunden so oder so von den kleinen und größeren Fehler eines Produktes oder einer Leistung erfahren werden, sollte man offen und positiv mit ihnen umgehen. Insbesondere in der Software-Industrie ist es üblich, Beta-Versionen eines geplanten Produktes auf den Markt zu bringen, diese von Kunden testen zu lassen und deren Feedback als Ausgangspunkt für weitere Verbesserungsmaßnahmen zu nutzen. Diese Idee lässt sich auf fast alle Branchen übertragen; wenn auch vielleicht nach anderem Schema.

Wie heißt es doch so schön: Ehrlich währt am längsten. Dabei geht es aber nicht allein um die Befolgung moralischer Grundprinzipien, sondern eben auch um eine bewusst gewählte Strategie (auch wenn das blöd klingt). Authentizität ist Trumpf. Wer das nicht erkennt und weiter versucht, seine Kunden an der Nase herumzuführen, der braucht sich nicht zu wundern, wenn der Blick auf die Bilanz mal irgendwann nicht mehr so viel Spaß bringt.

In unseren Workshops und Projekten helfen wir unseren Kunden eine zielorientierte Innovationsstrategie zu entwickeln, innovative Ideen zu generieren und/oder den Aufbau einer funktionierenden Kreativkultur voranzutreiben – Aber es geht nie darum ein Allheilmittel zu finden, mit dem man die Weltherrschaft erobern kann.

Nobody is perfect. Warum auch?

Auf bald

Jan Kristof Arndt

Jan Kristof Arndt
Autor: Jan Kristof Arndt

Innovationsberater und Autor „Von Regelbrüchen … oder der Kunst, merkwürdig zu sein“