Mein Haus. Mein Auto. Meine Idee! … Oder: Von Einfällen und Ausfällen

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Jan Kristof Arndt 26 März 2019

Ich hab zuletzt einen Vater im Kino beobachtet, der seinem Kind mit ein bisschen Spucke und einem Taschentuch einen etwa handtellergroßen Schokofleck vom Kinn wischen wollte. Das Kind schien kurz davor, sich übergeben zu müssen; schließlich war es ungefähr dreizehn, nicht drei, und machte dem Vater eine riesen Szene. Als eine umstehende Frau meinte, sich einschalten zu müssen, um den Vater zu unterstützen und dem Kind eine Lehrstunde in sozialem Verhalten zu geben, geschah etwas Faszinierendes (deutlich spannender als der Film, den ich an dem Abend gesehen habe): Vater und Kind haben sich daran erinnert, dass sie sich –von dieser kleinen Schoko-Spucke-Aktion mal abgesehen– ja eigentlich doch ganz nett finden, und sind dann –aus dem Gefühl der emotionalen Wiedervereinigung heraus– gemeinsam auf die Frau losgegangen (natürlich nur verbal): Was ihr denn einfallen würde, fragte der Vater. Dass sie sich verziehen solle, konstatierte das Kind. Dass nur einer sozial gestört wäre, nämlich sie, meinte der Vater. Und dann zeigte das Kind ihr noch den Stinkefinger, was dem Vater dann doch ein bisschen peinlich zu sein schien. Aber er stellte sich vor sein Kind. Und blieb da bis die Frau erkannte, dass sie hier wohl nicht mehr viel würde bewegen können … und dann wegging.

Mit den eigenen Kindern macht man so was; egal wie sehr sie sich daneben benommen haben. Die mag man irgendwie – zumindest meistens. Aber wenn man dann selbst einen anderen Vater beobachtet, der sein Kind der „Katzenwäsche“ unterzieht, ist man nicht besser als alle anderen und denkt bei sich: Gott, ist das Kind unselbstständig. Und so tollpatschig. Oft findet man auch, dass der Vater zu dick, das Kind zu klein, das Taschentuch nicht sauber genug und der Schokofleck zu … hmm … zu groß ist. Und man verspürt auf einmal auch diesen Drang, den beiden noch was mit auf den Weg zu geben. Einen Tipp, vielleicht.

Genauso verhält es sich mit Ideen … na ja, nicht genauso und nicht unbedingt mit Ideen im Allgemeinen … aber so ähnlich und mit den eigenen Ideen im Speziellen. Verwirrt? Nun, was ich sagen will: Man mag seine Einfälle, seine Visionen, seine Traumschlösser. Man hofft auf Anerkennung, auf Lob, vielleicht auf eine Lohnerhöhung (oder zumindest eine Prämie). Wenn einer sich kritisch zeigen darf, dann man selbst. Äußert jemand anderer Kritik, wetzt man noch schnell seine Krallen und stürzt sich mit wehenden Fahnen ins Gefecht: Wie können Sie denn so was sagen? Erkennen Sie denn nicht den Wert meines Einfalls? Welche Idee hatten Sie denn schon in letzter Zeit? Und auch gerne: Warum hab ich das Gefühl, Sie würden mich nicht mögen? Wahrscheinlich liegt man damit auch gar nicht so verkehrt. Zumindest von diesem Zeitpunkt an.

Man hört doch relativ selten: „Mensch, toll! Da hab ich ja noch gar nicht dran gedacht.“ Oder: „Vergessen Sie, was ich eben gesagt habe. Ihr Vorschlag gefällt mir wesentlich besser!“ Ich glaube, es liegt in der menschlichen Natur, die eigenen Ideen am besten zu finden und sie reflexartig zu verteidigen, wenn nicht jeder im Raum anerkennend mit dem Kopf nickt. Einer der wohl bekanntesten Sprüche von Michael Dell lautet: „Wenn dir jemand erzählt, deine Idee sei verrückt – höre nicht auf ihn.“ Das klingt gut, sehr gut sogar, denn mancher lehnt eine Idee nur deshalb ab, weil sie ihm nicht selbst eingefallen ist. Aber in anderen Fällen sollte man den Menschen einfach glauben. Manchmal sind (auch die eigenen) Ideen wirklich so schlecht, dass ihre Umsetzung einen (und leider auch alle anderen im Unternehmen) zielsicher in die Schlange vor dem Arbeitsamt führen würde.

Nun mögen Sie denken: „Ja, ja … wirklich neu ist das nun alles aber nicht.“ Und das stimmt! Und doch lässt sich kaum ein Phänomen in der Innovationspraxis häufiger beobachten als jemand, der zu sehr in seine eigenen Ideen verliebt ist und diese gegen jeden Widerstand verteidigt – auf allen Ebenen. Das Gute: An der Leidenschaft für Veränderungen und neuen Ideen mangelt es diesen Menschen nicht. Nur an der Selbsteinschätzung muss noch gefeilt werden. Wie der englische Schauspieler Chris Howland einmal sagte: „Das Schwerste an einer Idee ist nicht, sie zu haben, sondern zu erkennen, ob sie gut ist.“

Die Beurteilung von Ideen, hängt vom Kontext ab. Wollen Sie das Rad neu erfinden oder reicht es vielleicht, dieses einfach weiterzuentwickeln, vielleicht ein paar neue Varianten anzubieten? Sollen die gewünschten Veränderungen radikal oder inkrementell, modular oder eher architektonisch sein?

Da wo es viele schlechte Ideen gibt, fehlt es oft an einer klaren und faszinierenden Vision – einem Ziel, auf das alle gemeinsam hinarbeiten. Eine solche allein kann das Problem zwar nicht beheben, aber sie hilft in vielen Fällen einzuschätzen, ob die eigenen Ideen oder die Ideen anderer gut oder vielleicht doch weniger zielführend sind.

Falls Sie andere Menschen kritisieren (müssen), versuchen Sie deren Ideen nicht einfach „abzuwatschen“. Denken Sie an die Eingangsgeschichte: Ideen sind wie Kinder – die eigenen mag man am liebsten – und man ist bereit sie zu verteidigen; besonders dann wenn die Kritik überzogen vorgebracht wird. Sätze wie „Aber das ist doch Quatsch …“ kann man sich eigentlich abgewöhnen. Auch wenn man inhaltlich richtig liegen mag. Eine Atmosphäre zu kreieren, in der jeder seine Meinung sagen kann, und zwar ohne im Widerspruchsfall gleich einen „auf den Deckel“ zu bekommen, ist eine der anspruchsvolleren Managementaufgaben und ein elementarer Baustein in der Etablierung einer funktionierenden Innovationskultur. Der Ton macht die Musik, sagte schon meine Oma immer.

Wer das berücksichtigt, erfüllt eine der wichtigsten Voraussetzungen, um die wohl wertvollste Kreativressource –seine Mitarbeiter– zu aktivieren, zu motivieren und so, in einer sich immer schneller drehenden Welt, seine Position am Markt auszubauen und zu verteidigen.

Auf bald

Jan Kristof Arndt

Jan Kristof Arndt
Autor: Jan Kristof Arndt

Innovationsberater und Autor „Von Regelbrüchen … oder der Kunst, merkwürdig zu sein“